Brunetti 03 - Venezianische Scharade
sagte immer noch nichts. »Guido, du hast mich angerufen, nicht umgekehrt.« Padovani stand auf. »Ich setze nur die Pasta auf. Fünfzehn Minuten.«
Während er wartete, daß Padovani aus der Küche zurückkam, sah Brunetti sich die Bücher an, die ein Wandregal füllten. Er zog eines über chinesische Archäologie heraus und nahm es mit zum Sofa, wo er darin herumblätterte, bis er die Tür aufgehen hörte und Padovani hereinkommen sah.
»A tavola, tutti a tavola. Mangiamo«, rief Padovani. Brunetti klappte das Buch zu, legte es beiseite und durchquerte das Zimmer, um seinen Platz am Tisch einzunehmen. »Du sitzt hier links«, sagte Padovani. Er stellte die Schüssel ab und fing gleich an, Pasta auf Brunettis Teller zu häufen.
Brunetti blickte auf seinen Teller, wartete, bis Padovani sich genommen hatte, und begann zu essen: Tomaten, Zwiebeln und Speckwürfel mit ganz wenig peperoncino auf penne rigate, seiner Lieblingspasta.
»Sehr gut«, sagte er aufrichtig. »Ich mag den Hauch von peperoncino.«
»Ah, fein. Ich weiß nie, ob es den Leuten nicht zu scharf ist.«
»Nein, es ist perfekt«, erklärte Brunetti und aß weiter. Als er seine Portion aufgegessen hatte und Padovani ihm noch einmal vorlegte, sagte Brunetti: »Er heißt Francesco Crespo.«
»Ich hätte es wissen müssen«, versetzte Padovani mit einem müden Seufzer. Dann fragte er in wesentlich muntererem Ton: »Und es ist dir bestimmt nicht zuviel peperoncino?«
Brunetti schüttelte den Kopf und vertilgte den Rest seiner zweiten Portion, um gleich darauf die Hände über seinen Teller zu decken, als Padovani nach dem Vorlegelöffel griff.
»Ich würde es dir aber raten«, beharrte Padovani. »Es gibt so gut wie nichts weiter.«
»Nein, wirklich nicht, Damiano.«
»Wie du willst, aber Paola soll mir keine Vorwürfe machen, wenn du verhungerst, während sie weg ist.« Er nahm ihre beiden Teller, stellte sie in die Schüssel und ging damit in die Küche.
Er sollte den Weg noch zweimal machen, bevor er sich wieder hinsetzte. Beim erstenmal brachte er einen kleinen Braten aus Putenbrust, mit Speckscheiben umwickelt, umkränzt von Kartoffeln, beim zweitenmal eine Platte gegrillte Paprikaschoten in Olivenöl und eine große Schüssel mit gemischtem Salat. »Das ist alles, was ich habe«, sagte er, als er sie absetzte, und Brunetti vermutete, er sollte das als Entschuldigung verstehen.
Brunetti nahm von dem Braten und den Kartoffeln und begann zu essen.
Padovani schenkte Wein nach und tat sich Putenbrust und Kartoffeln auf. »Crespo stammt, glaube ich, ursprünglich aus Mantua. Vor etwa vier Jahren zog er nach Padua, um dort Pharmazie zu studieren. Aber er hat schnell gemerkt, daß sein Leben viel interessanter war, wenn er seiner natürlichen Neigung nachgab und sich als prostituto sein Geld verdiente, und bald entdeckte er, daß dies am besten ging, wenn er sich einen älteren Mann suchte, der ihn aushielt. Das übliche: Wohnung, Auto und viel Geld für Kleidung, und als Gegenleistung mußte er nur da sein, wenn der Mann, der seine Rechnungen bezahlte, sich von der Bank oder der Stadtratssitzung oder seiner Frau loseisen konnte. Ich glaube, da war er erst achtzehn. Und sehr, sehr hübsch.« Padovani hielt inne, die Gabel in der Luft. »Genaugenommen erinnerte er mich immer an den Bacchus von Caravaggio, schön, aber allzu wissend, und hart an der Grenze zur Verworfenheit.«
Padovani bot Brunetti von den Paprika an und nahm sich selbst welche. »Das letzte, was ich aus erster Hand über ihn gehört habe, ist, daß er sich mit einem Buchhalter aus Treviso eingelassen hatte. Aber Franco war immer ein Streuner, und der Buchhalter hat ihn rausgeworfen. Erst zusammengeschlagen, soviel ich weiß, und dann rausgeworfen. Ich kann nicht sagen, wann er angefangen hat, sich als Transvestit zu verkaufen; diese Variante hat mich nie auch nur im mindesten interessiert. Wahrscheinlich geht mir das Verständnis dafür ab. Wenn man eine Frau will, sollte man eine Frau nehmen.«
»Vielleicht ist es eine Möglichkeit, sich vorzumachen, es wäre eine Frau«, meinte Brunetti. Das war Paolas Theorie, aber jetzt hielt er sie für plausibel.
»Vielleicht. Aber doch sehr traurig, oder?« Padovani schob seinen Teller beiseite und lehnte sich zurück. »Ich meine, wir machen uns doch andauernd etwas vor, darüber, ob wir jemanden lieben oder warum wir es tun, oder warum wir die Lügen erzählen, die wir erzählen. Aber man sollte doch annehmen, daß wir uns wenigstens
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