Brunetti 03 - Venezianische Scharade
wissen, daß nicht nur Mascaris Tod als Folge des »rauhen Milieus« anzusehen war, in dem er auch gegen die Warnung der wenigen Freunde verkehrte, die von seinem heimlichen Laster wußten, sondern auch, daß seine Frau sich weigerte, die Leiche abholen und ihr ein christliches Begräbnis zukommen zu lassen.
Brunetti hatte um elf eine Verabredung mit der Witwe und suchte sie auf, ohne von den Gerüchten zu wissen, die in der Stadt herumgeisterten. Er hatte mit der Banca di Verona telefoniert und erfahren, daß vor einer Woche bei ihrer Zweigstelle in Messina ein Mann unter dem Namen Mascari angerufen und erklärt hatte, seinen Besuch um zwei Wochen, vielleicht auch um einen Monat verschieben zu müssen. Nein, man hatte nicht daran gedacht, sich noch einmal zu vergewissern, da kein Anlaß bestand, an der Terminänderung zu zweifeln.
Mascaris Wohnung lag im dritten Stock eines Hauses nicht weit von der Via Garibaldi, der Hauptdurchgangsstraße von Castello. Als die Witwe Brunetti öffnete, sah sie nicht viel anders aus als vor zwei Tagen, nur daß ihr Kostüm heute schwarz und der müde Ausdruck um ihre Augen noch deutlicher war.
»Guten Morgen, Signora. Es ist sehr entgegenkommend von Ihnen, mich heute zu empfangen.«
»Kommen Sie bitte herein«, sagte sie und trat zur Seite. Mit dem obligatorischen »permesso« betrat er die Wohnung und war einen Moment lang völlig desorientiert; er hatte das seltsame Gefühl, schon einmal hiergewesen zu sein. Erst als er sich umsah, wußte er, woher dieses Gefühl kam: Hier sah es fast genauso aus wie bei der alten Frau am Campo San Bartolomeo, eine Wohnung, in der seit Generationen dieselbe Familie lebte. An der Wand im Hintergrund stand eine ähnliche Kredenz, und die Samtpolster der beiden Sessel und des Sofas waren mit dem gleichen dezenten, grüngemusterten Stoff bezogen. Auch hier waren die Vorhänge zum Schutz gegen die Sonne oder neugierige Blicke zugezogen.
»Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?« fragte sie, womit sie eindeutig nur der Form Genüge tun wollte.
»Nein, danke, Signora. Ich möchte Ihre Zeit nur kurz in Anspruch nehmen. Es gibt da noch ein paar Fragen.«
»Ja, ich weiß«, sagte sie und kam ins Zimmer. Sie setzte sich in einen der hart gepolsterten Sessel, und Brunetti nahm in dem anderen Platz. Sie klaubte ein Fädchen von der Armlehne ihres Sessels, rollte es zu einem Kügelchen und steckte es sorgsam in ihre Jackentasche.
»Signora, ich weiß nicht, wieviel Sie von den Gerüchten wissen, die sich um den Tod Ihres Mannes ranken.«
»Ich weiß, daß er in Frauenkleidern gefunden wurde«, antwortete sie mit leiser, halberstickter Stimme.
»Wenn Sie das wissen, dann ist Ihnen sicher klar, daß wir gewisse Fragen zu stellen haben.«
Sie nickte und blickte auf ihre Hände.
Er konnte seine Frage entweder auf brutale oder ungeschickte Weise stellen. Er entschied sich für letzteres. »Haben oder hatten Sie Gründe anzunehmen, daß Ihr Mann in solche Praktiken verwickelt war?«
»Ich weiß nicht, was Sie meinen«, sagte sie, obwohl ihr klar sein mußte, was er meinte.
»Daß Ihr Mann mit dem Transvestitenmilieu zu tun hatte.« Warum es nicht einfach hinter sich bringen und sagen: Daß er Transvestit war?
»Das ist unmöglich.«
Brunetti sagte nichts, sondern wartete.
Aber sie wiederholte nur unerschütterlich: »Das ist unmöglich.«
»Signora, hat Ihr Mann je seltsame Anrufe oder Briefe erhalten?«
»Ich weiß nicht, was Sie meinen.«
»Ist er vielleicht irgendwann einmal angerufen worden und machte danach einen beunruhigten oder abwesenden Eindruck? Oder vielleicht nach der Lektüre eines Briefes? Oder war er in letzter Zeit anders als sonst?«
»Nein, nichts dergleichen«, sagte sie.
»Wenn ich noch einmal auf meine ursprüngliche Frage zurückkommen darf, Signora, hatten Sie den Eindruck, daß Ihr Mann sich in diese Richtung hingezogen fühlte?«
»Zu Männern?« fragte sie mit hoher, ungläubiger Stimme, in der noch etwas mitschwang. Ekel?
»Ja.«
»Nein, absolut nicht. Es ist schrecklich, so etwas zu sagen. Abstoßend. Ich dulde nicht, daß Sie so etwas über Leonardo sagen; er war ein Mann.«
Brunetti sah, daß sie ihre Hände zu Fäusten geballt hatte. »Bitte haben Sie Geduld mit mir, Signora. Ich versuche nur, die Dinge zu verstehen, und dazu muß ich diese Fragen über Ihren Mann stellen. Das heißt nicht, daß ich daran glaube.«
»Warum fragen Sie dann?« gab sie zurück, und ihre Stimme klang trotzig.
»Damit wir die
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