Brunetti 03 - Venezianische Scharade
Besuch in letzter Minute absagt. Oder glauben Sie, er würde es wagen, im August nach Venedig zu kommen, wenn es in der ganzen Stadt nach Algen stinkt, um dann hier über die neuen großen Umweltprojekte zu reden, die sie vorhaben?« Vianello lachte verächtlich; Interesse an der neuen Partei der Grünen war ein weiteres Ergebnis seiner jüngsten medizinischen Erfahrungen. »Jedenfalls möchte ich lieber nicht den Vormittag damit verschwenden, zum Flughafen zu fahren, nur um dann zu hören, daß er nicht kommt.«
Das Argument erschien Brunetti völlig logisch. Der Minister würde, um Vianellos Worte zu gebrauchen, nicht wagen, in Venedig aufzutreten, nicht im selben Monat, in dem die Hälfte aller Adriastrände wegen zu hoher Wasserverschmutzung für Schwimmer gesperrt war, nicht in einer Stadt, in der man erst kürzlich erfahren hatte, daß der Fisch, der den Hauptanteil ihrer Nahrung ausmachte, gefährlich hohe Anteile an Quecksilber und anderen Schwermetallen enthielt. »Ich will sehen, was ich tun kann«, sagte Brunetti.
Erfreut über diese Aussicht auf etwas Besseres als Blumen, obwohl er wußte, daß Brunetti die auch noch bringen würde, zückte Vianello sein Notizbuch und begann vorzulesen, was seine Frau in Erfahrung gebracht hatte.
»Die Lega wurde vor etwa acht Jahren gegründet, zu welchem Zweck oder von wem, weiß keiner genau. Da sie angeblich gute Werke tut, zum Beispiel Spielzeug in Waisenhäuser oder alten Leuten Essen ins Haus bringen, hatte sie immer auch einen guten Ruf. Und im Lauf der Jahre haben die Stadt und einige Kirchen ihr freie Wohnungen zur Verwaltung überlassen; diese werden älteren Menschen billig, manchmal sogar kostenlos zur Verfügung gestellt, gelegentlich auch Behinderten.« Vianello hielt kurz inne, dann fuhr er fort: »Weil ihre Leute alle ehrenamtlich arbeiten, wurde die Lega als wohltätige Organisation anerkannt.«
»Und das heißt«, unterbrach ihn Brunetti, »daß sie keine Steuern bezahlen muß und die Regierung ihr das übliche Entgegenkommen erweist, daß ihre Finanzen nicht allzu genau unter die Lupe genommen werden, falls überhaupt.«
»Sie sprechen mir aus der Seele, Dottore.« Brunetti wußte zwar, daß Vianello seine politischen Ansichten geändert hatte. Aber auch noch seine Rhetorik?
»Das merkwürdige ist, daß Nadia niemanden ausfindig machen konnte, der tatsächlich der Lega angehört. Nicht einmal die Frau bei der Bank, wie sich herausgestellt hat. Viele gaben an, jemanden zu kennen, der Mitglied ist, aber wenn Nadia nachgebohrt hat, merkte sie immer sehr schnell, daß die Leute es gar nicht so genau wußten. Mit zwei angeblichen Mitgliedern hat sie gesprochen, und die waren dann doch keine.«
»Und die guten Werke?« fragte Brunetti.
»Auch sehr undurchsichtig. Nadia hat mit den Krankenhäusern telefoniert, aber keines von ihnen hatte bisher Kontakt mit der Lega. Ich habe dann noch die Sozialstation angerufen, die sich um Alte kümmert, aber dort hat man noch nie davon gehört, daß jemand von der Lega etwas für alte Leute tut.«
»Und die Waisenhäuser?«
»Nadia hat mit der madre superiora des Nonnenordens gesprochen, der die drei größten unterhält. Sie hatte zwar von der Lega gehört, wie sie sagte, aber nie irgendeine Hilfsleistung bekommen.«
»Und die Frau bei der Bank. Wie ist Nadia darauf gekommen, daß sie Mitglied sein könnte?«
»Weil sie eine Wohnung hat, die von der Lega verwaltet wird. Aber sie war nie Mitglied und kennt auch niemanden, der Mitglied ist. Nadia versucht immer noch, jemanden aufzutreiben, der tatsächlich Mitglied ist.«
Wenn Nadia diesen Zeitaufwand auch noch in Rechnung stellte, würde es wahrscheinlich darauf hinauslaufen, daß Vianello den Rest des Monats freihaben wollte. »Und Santomauro?« fragte Brunetti.
»Daß er der Boß ist, scheinen alle zu wissen, aber keiner weiß, wie es dazu kam. Außerdem hat interessanterweise niemand eine Ahnung, was es bedeutet, der Boß zu sein.«
»Kommen sie denn nicht regelmäßig zusammen?«
»Die Leute sagen, ja. In Gemeindehäusern oder privat. Aber auch hier konnte Nadia wieder niemanden ausfindig machen, der je an so einem Treffen teilgenommen hat.«
»Haben Sie schon mit den Kollegen von der Guardia di Finanza gesprochen?«
»Nein, ich dachte, das übernimmt Elettra.«
Elettra? Nanu? Der formlose Umgangston des Konvertiten?
»Ich habe Signorina Elettra gebeten, Santomauro in ihrem Computer zu suchen, aber ich habe sie heute vormittag noch nicht
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