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Brunetti 03 - Venezianische Scharade

Brunetti 03 - Venezianische Scharade

Titel: Brunetti 03 - Venezianische Scharade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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erwidern, und fragte: »Ist er da?«
    »Ja. Er ist gerade vom Essen gekommen. Um halb fünf hat er eine Verabredung, wenn Sie mit ihm sprechen wollen, tun Sie es am besten gleich.«
    »Wissen Sie, was das für eine Verabredung ist?«
    »Commissario, wollen Sie, daß ich Vertrauliches aus dem Privatleben des Vice-Questore ausplaudere?« fragte sie und legte die angemessene Entrüstung in ihre Stimme; dann fügte sie hinzu: »Genaugenommen ist diese Verabredung mit seinem Anwalt nämlich etwas, worüber ich nicht berechtigt bin, mich zu äußern.«
    »Ah ja«, sagte Brunetti und blickte auf ihre Schuhe, dasselbe Purpurrot wie der Rock. Sie arbeitete gerade etwas mehr als eine Woche für Patta. »Dann gehe ich am besten jetzt zu ihm.« Er tat die paar Schritte, klopfte an Pattas Tür, wartete auf das »avanti« von drinnen und ging hinein.
    Da der Mann hinter dem Schreibtisch in Pattas Büro saß, mußte es ViceQuestore Giuseppe Patta sein. Aber der da saß, hatte mit dem Vice-Questore etwa soviel Ähnlichkeit wie ein Polizeifoto mit dem darauf Abgebildeten. Pattas Haut, die um diese Jahreszeit meist schon die Farbe von hellem Mahagoni hatte, war ganz blaß, aber es war eine seltsame Blässe unter einer dünnen, künstlich wirkenden Bräune. Sein kräftiges Kinn, das Brunetti immer an Mussolini-Fotos in Geschichtsbüchern erinnerte, wirkte gar nicht mehr so fest und bestimmt, sondern eher formlos, als könnte es höchstens noch eine Woche dauern, bevor es ganz erschlaffen würde. Pattas Krawatte war penibel geknotet, aber der Kragen seines Jacketts sah aus, als ob er eine Bürste nötig hätte. Die Krawattennadel fehlte ebenso wie die Blume im Knopfloch, wodurch der seltsame Eindruck entstand, der Vice-Questore wäre mehr oder weniger unbekleidet ins Büro gekommen.
    »Ah, Brunetti«, sagte er, als er den anderen hereinkommen sah. »Setzen Sie sich. Bitte, nehmen Sie Platz.« Brunetti konnte sich nicht erinnern, in den gut fünf Jahren, die er nun schon für Patta arbeitete, schon einmal ein »Bitte« aus seinem Mund gehört zu haben, höchstens ein zähneknirschendes.
    Brunetti tat wie geheißen und wartete, was für Wunder noch geschehen würden.
    »Ich wollte Ihnen für Ihre Hilfe danken«, begann Patta, sah Brunetti kurz an und dann an ihm vorbei, als ob er hinter dessen Schulter einem Vogel nachblicken wollte, der gerade durchs Zimmer geflogen war. Da Paola verreist war, lagen zu Hause keine Hefte von Gente oder Oggi herum, und Brunetti konnte nicht wissen, ob über Signora Patta und Tito Burrasca etwas darinstand, aber vermutlich rührte Pattas Dankbarkeit daher, daß dem nicht so war. Wenn Patta dies eher Brunettis vermeintlichen Pressekontakten zuschreiben wollte als dem inkonsequenten Verhalten seiner Frau, sah Brunetti keinen Anlaß, den Mann zu enttäuschen.
    »Das war nicht der Rede wert, Vice-Questore«, sagte er wahrheitsgemäß.
    Patta nickte. »Was ist mit der Geschichte in Mestre?«
    Brunetti berichtete ihm kurz, was er bisher in Erfahrung gebracht hatte, und schloß mit seinem Besuch bei Ravanello am selben Vormittag und dessen Behauptung, er habe von Mascaris Veranlagung und Vorlieben gewußt.
    »Dann müßte man annehmen, daß sein Mörder einer seiner - wie nennt man sie, Freier? - war«, sagte Patta und zeigte damit sein untrügliches Gespür fürs Offensichtliche.
    »Immer vorausgesetzt, Sie glauben, daß Männer in unserem Alter für andere Männer sexuell attraktiv sind, Vice-Questore.«
    »Ich weiß nicht, was Sie damit meinen, Commissario«, sagte Patta, jetzt wieder in einem Ton, den Brunetti besser kannte.
    »Wir gehen alle davon aus, daß er entweder un travestito oder un prostituto war und infolgedessen getötet wurde, aber unser einziger Beweis ist die Tatsache, daß er in einem Kleid aufgefunden wurde, sowie die Aussage des Mannes, der seine Stelle übernommen hat.«
    »Aber dieser Mann ist auch Direktor einer Bank, Brunetti«, entgegnete Patta mit der ihm eigenen Ehrfurcht vor solchen Titeln.
    »Eine Stellung, die er durch den Tod des anderen bekommen hat.«
    »Banker bringen sich nicht gegenseitig um, Brunetti«, versetzte Patta mit jener felsenfesten Überzeugung, die so typisch für ihn war.
    Brunetti bemerkte die Gefahr zu spät. Patta mußte nur erst den Vorteil sehen, der darin lag, Mascaris Tod einer gewalttätigen Episode in seinem anomalen Privatleben zuzuschreiben, und er würde es für gerechtfertigt halten, die Suche nach dem Täter der Polizei in Mestre zu überlassen, und

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