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Brunetti 03 - Venezianische Scharade

Brunetti 03 - Venezianische Scharade

Titel: Brunetti 03 - Venezianische Scharade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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sich mit dem Rasierapparat über Schienbein, Knöchel und Knie fuhr. Er konnte gar nicht mehr zählen, wie oft er während dieser Prozedur ihr unterdrücktes Fluchen aus dem Bad gehört hatte, um sie kurz darauf, ein Stück Toilettenpapier als provisorisches Pflaster auf irgendeinen Teil ihres Beins geklebt, herauskommen zu sehen. Paola rasierte sich die Beine, seit er sie kannte, und sie schnitt sich trotzdem jedesmal. Daß ein Mann Mitte vierzig es besser konnte, war unwahrscheinlich. Brunetti neigte zu der Annahme, daß es bis zu einem gewissen Grade in allen Ehen ähnlich zuging. So würde Paola es sofort merken, wenn er plötzlich anfinge, sich die Beine zu rasieren. Und so hielt er es auch für höchst unwahrscheinlich, daß Mascari seine Beine hätte rasieren können, ohne daß seine Frau es gemerkt hätte, auch wenn er sie von Geschäftsreisen nicht anrief.
    Er schaute noch einmal in den Autopsiebericht: »Keine Anzeichen epidermaler Blutung aus den Schnittwunden an den Beinen des Toten.« Nein, ungeachtet des roten Kleides und der roten Schuhe, ungeachtet des Make-ups und der Unterwäsche - Signor Mascari hatte sich die Beine nicht selbst rasiert, bevor er starb. Also mußte es jemand getan haben, als er schon tot war.

19
    B runetti saß in seinem Büro und hoffte auf eine Brise am Spätnachmittag, die Erleichterung bringen würde, aber diese Hoffnung war ebenso vergeblich wie die, er könnte allmählich ein Bindeglied zwischen all den unzusammenhängenden Tatsachen erkennen. Ihm war klar, daß diese ganze Geschichte mit dem Transvestismus eine wohldurchdachte posthume Scharade war, die nur dazu dienen sollte, vom wirklichen Grund für Mascaris Tod abzulenken. Das bedeutete, daß Ravanello, der als einziger Mascaris »Geständnis« gehört hatte, log und wahrscheinlich etwas über den Mord wußte. Aber wenn es Brunetti auch nicht schwerfiel, sich vorzustellen, daß Banker tatsächlich Menschen umbrachten, konnte er doch nicht glauben, daß sie es nur taten, um ihren Weg auf der Karriereleiter abzukürzen.
    Ravanello hatte nicht eine Sekunde gezögert, zuzugeben, daß er an dem Wochenende im Büro der Bank gewesen war; er hatte die Information sogar freiwillig beigesteuert. Und im Hinblick darauf, daß man Mascari gerade identifiziert hatte, war seine Begründung sogar einleuchtend - jeder gute Freund würde es so halten. Mehr noch, jeder loyale Angestellte würde es tun.
    Dennoch, warum hatte er sich am Samstag nicht am Telefon gemeldet, warum es geheimhalten, sogar vor einem unbekannten Anrufer, daß er an dem Nachmittag in der Bank war?
    Das Telefon klingelte, und Brunetti meldete sich mit Namen, immer noch in Gedanken, immer noch benommen von der Hitze.
    »Ich muß mit Ihnen sprechen«, sagte eine Männerstimme. »Persönlich.«
    »Wer spricht?« fragte Brunetti ruhig.
    »Das möchte ich lieber nicht sagen«, antwortete die Stimme.
    »Dann möchte ich lieber nicht mit Ihnen sprechen«, sagte Brunetti und legte auf. Gewöhnlich waren Anrufer durch diese Reaktion so verblüfft, daß sie gleich noch einmal anrufen zu müssen glaubten. Innerhalb weniger Minuten klingelte das Telefon erneut, und Brunetti meldete sich wieder.
    »Es ist sehr wichtig«, sagte dieselbe Stimme.
    »Es ist ebenso wichtig, daß ich weiß, mit wem ich spreche«, entgegnete Brunetti im Plauderton.
    »Wir haben uns letzte Woche gesprochen.«
    »Ich habe letzte Woche mit vielen Leuten gesprochen, Signor Crespo, aber nur wenige von ihnen haben mich angerufen und wollten mich sehen.«
    Crespo schwieg lange, und Brunetti befürchtete schon, daß er nun seinerseits auflegen könnte, doch statt dessen sagte der junge Mann: »Ich würde mich gern mit Ihnen treffen und mit Ihnen reden.«
    »Wir reden ja schon, Signor Crespo.«
    »Nein, ich möchte Ihnen ein paar Sachen geben, Fotos und Papiere.«
    »Was für Fotos und was für Papiere?«
    »Das werden Sie dann schon sehen.« »Womit haben diese Dinge zu tun, Signor Crespo?« »Mit Mascari. Die Polizei hat einen ganz falschen Eindruck von ihm.«
    Brunetti war der Ansicht, daß Crespo da recht hatte, aber er gedachte diese Ansicht für sich zu behalten. »Was haben wir denn für einen falschen Eindruck?« »Das sage ich Ihnen, wenn wir uns sehen.« Brunetti hörte an Crespos Stimme, daß er langsam den Mut verlor, oder was immer ihn sonst zu dem Anruf bewogen haben mochte. »Wo wollen Sie sich mit mir treffen?«
    »Wie gut kennen Sie sich in Mestre aus?«
    »Gut genug.« Außerdem konnte er

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