Brunetti 03 - Venezianische Scharade
Drei haben veranlaßt, daß ihre Gelder von unserer Bank abgezogen werden. In zwei Fällen bedeutet das erhebliche Verluste für uns. Und heute ist erst der erste Tag.«
»Und Sie glauben, daß diese Entscheidungen aufgrund der Umstände getroffen wurden, unter denen man Signor Mascaris Leiche gefunden hat?«
»Selbstverständlich. Ich denke, das liegt doch auf der Hand«, sagte Ravanello, aber es klang besorgt, nicht ärgerlich.
»Haben Sie Grund zu der Annahme, daß daraufhin noch mehr Leute ihr Geld abheben werden?«
»Vielleicht. Vielleicht auch nicht. In besagten Fällen, bei den tatsächlichen Einbußen, können wir eine direkte Verbindung zu Leonardos Tod ziehen. Aber viel mehr Sorge machen uns die noch nicht meßbaren Verluste für die Bank.«
»Und die wären?«
»Leute, die erst gar nicht mehr bei uns anlegen. Leute, die davon hören oder lesen und sich daraufhin entschließen, ihre Finanzen einer anderen Bank anzuvertrauen.«
Brunetti dachte darüber ein Weilchen nach und dachte auch über die Angewohnheit der Banker nach, das Wort »Geld« zu vermeiden, dachte an die breite Palette von Wörtern, die sie erfunden hatten, um diesen schnöden Ausdruck zu umgehen: Vermögen, Finanzen, Investitionen, Liquidität, Guthaben, Kapital. Gewöhnlich waren Euphemismen krasseren Dingen vorbehalten: dem Tod und den Körperfunktionen. Hieß das vielleicht, daß dem Geld etwas grundlegend Schmutziges anhaftete und daß die Sprache der Banker diese Tatsache verschleiern oder leugnen wollte? Er konzentrierte sich wieder auf Ravanello.
»Haben Sie eine Vorstellung, um welche Summen es sich dabei handelt?«
»Nein«, sagte Ravanello und schüttelte so bekümmert den Kopf, als hätte jemand von Tod oder schwerer Krankheit gesprochen. »Das kann man kaum berechnen.«
»Und was Sie die tatsächlichen Einbußen nennen, wie groß sind die?«
Ravanellos Gesicht bekam einen wachsamen Ausdruck. »Könnten Sie mir sagen, warum Sie das wissen wollen, Commissario?«
»Es geht nicht darum, daß ich gerade das wissen will, Signor Ravanello. Wir stehen mit unseren Ermittlungen noch am Anfang, und ich möchte so viele Informationen wie möglich sammeln, aus möglichst vielen Quellen. Was sich dann als wichtig erweisen wird, kann ich jetzt noch nicht sagen; diese Entscheidung können wir erst fällen, wenn wir alle Informationen über Signor Mascari zusammengetragen haben, die wir bekommen können.«
»Ich verstehe«, sagte Ravanello. Er zog einen Ordner zu sich heran, der auf seinem Schreibtisch lag. »Ich habe die Zahlen hier, Commissario. Ich war gerade dabei, sie mir anzusehen.« Er schlug den Ordner auf und fuhr mit dem Finger über einen Computerausdruck mit Namen und Zahlen. »Zusammengenommen beträgt die Summe der gekündigten Guthaben, nur von den beiden eben erwähnten Kunden - der dritte spielt kaum eine Rolle -, rund acht Milliarden Lire.«
»Weil er ein Kleid anhatte?« fragte Brunetti, der seine Antwort ganz bewußt so übertrieben formulierte.
Ravanello verbarg seinen Abscheu ob solcher Frivolität, aber nur schlecht. »Nein, Commissario, nicht weil er ein Kleid anhatte. Sondern weil diese Art des Verhaltens auf einen eklatanten Mangel an Verantwortungsbewußtsein hindeutet und unsere Investoren sich, vielleicht zu Recht, Gedanken darüber machen, ob dieser Mangel an Verantwortungsbewußtsein ihn nicht im Beruf ebenso bestimmt haben könnte wie im Privatleben.«
»Die Leute steigen also aus, bevor sich herausstellt, daß die Bank ruiniert ist, weil er alles für Strümpfe und Spitzenunterwäsche ausgegeben hat?«
»Ich sehe keinen Anlaß, das als Witz zu betrachten, Commissario«, sagte Ravanello in einem Ton, der schon zahllose Bankkunden in die Knie gezwungen haben mußte.
»Ich will damit nur sagen, daß dies eine etwas überzogene Reaktion auf den Tod des Mannes ist.«
»Aber sein Tod ist kompromittierend.«
»Für wen?«
»Für die Bank natürlich. Aber weit mehr noch für Leonardo selbst.« »Signor Ravanello, so kompromittierend Signor Mascaris Tod auch erscheinen mag, wir haben keine eindeutigen Fakten, was die Umstände dieses Todes angeht.«
»Soll das heißen, er hatte keine Frauenkleider an, als man ihn gefunden hat?«
»Signor Ravanello, wenn ich Sie in ein Affenfell stecke, heißt das nicht, daß Sie auch einer sind.«
»Was meinen Sie damit?« fragte Ravanello, der seine Verärgerung jetzt nicht mehr zu verbergen suchte.
»Das soll genau das heißen, was es heißt: Aus der Tatsache,
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