Brunetti 03 - Venezianische Scharade
ehrlich ist. Das ist ja das Merkwürdige. Wenn er alles angibt, was er verdient, muß er eine andere Geldquelle haben, die sein angegebenes Einkommen so nichtig erscheinen läßt, daß er gar nicht schummeln muß.«
Brunetti dachte einen Augenblick darüber nach. Die Steuergesetze ließen keine andere Erklärung zu. »Gibt Ihr Computer Ihnen einen Hinweis darauf, wo das Geld möglicherweise herkommt?«
»Nein, aber ich kann daraus ersehen, daß er Präsident der Lega della Moralità ist. Also müßte man logischerweise dort nachforschen.«
»Können Sie beide«, fragte er mit einer Kopfbewegung zu dem Bildschirm, vor dem sie saß, »etwas über die Lega herausfinden?«
»Damit habe ich schon angefangen, Commissario. Aber bisher erscheint mir die Lega noch undurchsichtiger als Signor Burrascas Steuererklärungen.«
»Ich habe vollstes Vertrauen, daß Sie alle Hindernisse überwinden werden, Signorina.«
Sie senkte den Kopf und nahm das Kompliment entgegen wie einen ihr schuldigen Tribut.
Er beschloß, die Frage zu wagen. »Wie kommt es, daß Sie sich im Computernetz so gut auskennen?«
»In welchem?« fragte sie aufblickend.
»Finanzen.«
»Ich hatte bei meiner früheren Arbeit damit zu tun«, sagte sie, den Blick schon wieder halb auf dem Bildschirm.
»Und wo war das, wenn ich fragen darf?« erkundigte er sich und dachte dabei an Versicherungen, oder vielleicht das Büro eines Steuerberaters.
»Bei der Banca d'Italia«, sagte sie halb zu ihrem Bildschirm und halb zu Brunetti.
Er zog die Augenbrauen hoch. Sie blickte auf, sah sein Gesicht und erklärte: »Ich war Direktionsassistentin.«
Man mußte weder Banker noch Mathematiker sein, um ausrechnen zu können, eine wie große finanzielle Verschlechterung so ein Stellenwechsel bedeutete. Außerdem war ein Arbeitsplatz bei einer Bank für die meisten Italiener gleichbedeutend mit absoluter Sicherheit; die Leute warteten Jahre, um als Mitarbeiter bei einer Bank angenommen zu werden, bei jeder Bank, wobei die Banca d'Italia sicher die begehrteste war. Und diese junge Frau wechselte als Sekretärin zur Polizei? Selbst zwei wöchentliche Blumensträuße von Fantin machten das nicht plausibel. Und wenn man sich vor Augen hielt, daß sie nicht nur einfach bei der Polizei, sondern ausgerechnet für Patta arbeitete, erschien das Ganze schon beinah irrsinnig.
»Ich verstehe«, sagte Brunetti, obwohl er nichts verstand. »Ich hoffe, Sie werden sich bei uns wohl fühlen.«
»Da bin ich ganz sicher, Commissario«, sagte Signorina Elettra. »Soll ich Ihnen noch irgendwelche anderen Informationen heraussuchen?«
»Nein, im Augenblick nicht, danke«, antwortete er und ging zurück in sein Büro. Über seine Amtsleitung rief er das Hotel in Bozen an und verlangte Signora Brunetti.
Signora Brunetti war spazieren, erfuhr er, und wurde erst zum Abendessen zurückerwartet. Er hinterließ keine Nachricht, nur seinen Namen, und legte auf.
Gleich darauf klingelte sein Telefon. Es war Padovani aus Rom, der sich entschuldigte, daß er nichts weiter über Santomauro hatte in Erfahrung bringen können. Er hatte Freunde in Rom und Venedig angerufen, aber alle waren offenbar in den Ferien, und er hatte nur eine Reihe von Nachrichten auf Anrufbeantwortern hinterlassen und um Rückruf gebeten, ohne den Grund seines Anrufs zu nennen. Brunetti bedankte sich und bat Padovani, sich wieder zu melden, wenn er etwas Neues wußte.
Nachdem er aufgelegt hatte, wühlte Brunetti auf seinem Schreibtisch, bis er gefunden hatte, was er suchte, nämlich den Autopsiebericht über Mascari, den er noch einmal aufmerksam durchlas. Auf der vierten Seite stand, wonach er gesucht hatte. »Kratzer und Schnittwunden an den Beinen, keine Anzeichen epidermaler Blutung. Die Kratzer wurden zweifelsohne durch die scharfen Halme von...« Hier hatte der Pathologe ein bißchen angegeben und den lateinischen Namen des Grases genannt, in dem Mascaris Leiche versteckt worden war.
Tote bluten nicht; es fehlt der Druck, um das Blut an die Oberfläche zu pumpen. Diese Grundregel der Pathologie hatte Brunetti sich gemerkt. Wären die Kratzer durch - und hier wiederholte er laut die pompösen lateinischen Silben - verursacht worden, hätten sie nicht geblutet, denn Mascari war tot, als er dort deponiert wurde. Aber wenn ihm jemand anderes die Beine rasiert hatte, nachdem er tot war, hätte es auch nicht geblutet.
Brunetti hatte sich noch nie woanders als im Gesicht rasiert, aber er war seit Jahren Zeuge, wenn Paola
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