Brunetti 03 - Venezianische Scharade
verheimlichen, Signor Ravanello.«
Der Banker sah Brunettis Gesicht und schaute schnell weg. »Ich wollte auch die Bank schützen. Ich wollte feststellen, ob Leonardo... ob er eine Unbesonnenheit begangen hatte.«
»Ist das bei Ihnen der Fachausdruck für Unterschlagung?«
Wieder deuteten Ravanellos zusammengepreßte Lippen seine Meinung über Brunettis Wortwahl an. »Ich wollte sichergehen, daß die Bank durch seine Unbesonnenheit nicht in Mitleidenschaft gezogen wurde.«
»Im Klartext?«
»Also gut, Commissario«, sagte Ravanello, während er sich ärgerlich vorbeugte. »Ich wollte sehen, ob seine Konten in Ordnung waren, ob nichts fehlte von dem Kunden oder Firmenkapital, das durch seine Hände ging.«
»Dann waren Sie ja schwer beschäftigt heute vormittag.«
»Nein, ich habe es am Wochenende gemacht. Samstag und Sonntag habe ich in erster Linie damit verbracht, vor dem Computer zu sitzen und seine Kundenkonten zu überprüfen, die letzten drei Jahre. Weiter zurückzugehen, hatte ich keine Zeit.«
»Und was haben Sie festgestellt?«
»Gar nichts. Alles ist ganz so, wie es sein sollte. Wie derangiert Leonardos Privatleben auch gewesen sein mag, beruflich ist alles in bester Ordnung.«
»Und wenn es nicht so gewesen wäre?« fragte Brunetti.
»Dann hätte ich Sie angerufen.«
»Ich verstehe. Können Sie uns Kopien dieser Unterlagen zur Verfügung stellen?«
»Natürlich«, meinte Ravanello und überraschte Brunetti mit dieser schnellen Zustimmung. Seiner Erfahrung nach rückten Banken mit Informationen noch widerwilliger heraus als mit Geld. Normalerweise ging das nur durch eine gerichtliche Verfügung. Welch eine freundliche, entgegenkommende Geste von Signor Ravanello.
»Vielen Dank, Signor Ravanello. Einer unserer Finanzexperten kommt dann vorbei, um sie abzuholen, morgen vielleicht.«
»Ich werde dafür sorgen, daß sie fertig sind.«
»Und wenn Sie überlegen könnten, ob Ihnen vielleicht noch etwas einfällt, was Signor Mascari Ihnen über sein anderes, sein heimliches Leben anvertraut hat.«
»Natürlich. Aber ich glaube, ich habe Ihnen alles gesagt.«
»Gut, aber es könnte ja sein, daß Sie sich in Ihrem momentanen Gefühlsaufruhr an andere, scheinbar unwichtige Dinge nicht erinnern. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie alles notieren könnten, was Ihnen noch einfällt. Ich melde mich morgen oder übermorgen wieder.«
»Natürlich«, wiederholte Ravanello, dessen Stimmung sich durch die Aussicht auf das baldige Ende der Unterredung merklich besserte.
»Ich glaube, das ist für heute alles«, sagte Brunetti und stand auf. »Ich danke Ihnen für Ihre Zeit und Ihre Offenheit, Signor Ravanello. Die Situation ist sicher sehr schwierig für Sie. Denn Sie haben nicht nur einen Kollegen verloren, sondern auch einen Freund.«
»Ja, das habe ich«, meinte Ravanello mit einem Nicken.
»Nochmals«, sagte Brunetti und streckte dabei die Hand aus, »vielen Dank für Ihre Zeit und Ihre Hilfe.« Er wartete einen Augenblick, dann ergänzte er: »Und Ihre Aufrichtigkeit.«
Bei diesen Worten blickte Ravanello abrupt auf, aber er sagte: »Gern geschehen, Commissario«, und kam hinter seinem Schreibtisch hervor, um Brunetti hinauszugeleiten. Er ging mit ihm bis zur Tür des Hauptbüros. Dort gaben sie sich noch einmal die Hand, und Brunetti ging allein hinaus in das Treppenhaus, durch das er Ravanello am Samstagnachmittag gefolgt war.
18
W eil er sowieso in der Nähe der Rialtobrücke war, hätte Brunetti zum Mittagessen nach Hause gehen können, aber er hatte weder Lust zu kochen, noch den Rest der insalata di calamari zu riskieren, der nun schon vier Tage alt und ihm daher nicht mehr ganz geheuer war. Statt dessen ging er zum Corte de Milion und nahm in der kleinen Trattoria, die sich in eine Ecke des winzigen campo schmiegte, ein angemessenes Mittagsmahl ein.
Um drei war er wieder in seinem Büro und überlegte, daß es wahrscheinlich klug wäre, hinunterzugehen und mit Patta zu sprechen, ohne erst von ihm gerufen worden zu sein. Im Vorzimmer des Vice-Questore goß Signorina Elettra gerade Wasser aus einer Plastikflasche in eine große Kristallvase mit sechs hohen Calla. Die Callablüten waren weiß, aber nicht so weiß wie die Bluse, die Signorina Elettra zum Rock ihres purpurfarbenen Kostüms trug. Als sie Brunetti sah, meinte sie lächelnd: »Es ist wirklich erstaunlich, wie viel Wasser sie brauchen.«
Ihm fiel keine passende Antwort ein, und so begnügte er sich damit, ihr Lächeln zu
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