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Brunetti 03 - Venezianische Scharade

Brunetti 03 - Venezianische Scharade

Titel: Brunetti 03 - Venezianische Scharade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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Gerüst, aber die Kirche blieb geschlossen. Er blickte hinüber und sagte sich, daß er einen Fehler beging, vor dem er Kollegen immer warnte: Er ging von der Schuld eines Verdächtigen aus, ohne auch nur den kleinsten greifbaren Beweis zu haben, der diesen Verdächtigen mit dem Verbrechen in Verbindung brachte. Aber so sicher er wußte, daß die Kirche nie wieder geöffnet wurde, jedenfalls nicht zu seinen Lebzeiten, so sicher wußte er auch, daß Santomauro für die Morde an Mascari und Crespo verantwortlich war und für den Tod von Maria Nardi. Er und wahrscheinlich Ravanello. Einhundertzweiundsechzig Wohnungen. Wie viele davon konnte man an Leute wie Canale oder andere vermieten, die bereit waren, ihre Miete bar zu bezahlen und keine Fragen zu stellen? Die Hälfte? Selbst schon ein Drittel brachte monatlich über siebzig Millionen Lire, fast eine Milliarde im Jahr. Er dachte an jene Witwen und Waisen und fragte sich, ob Santomauro so übermütig geworden war, daß auch sie Teil des Schwindels waren und sogar die Minimalmieten, die in den Töpfen der Lega landeten, dort umfunktioniert und an Phantomwitwen und erfundene Waisen ausgezahlt wurden.
    Er ging an seinen Schreibtisch zurück und blätterte in dem Bericht herum, bis er den Hinweis auf die Zahlungen fand, die an jene gegangen waren, die man der Mildtätigkeit der Lega für wert befunden hatte: Ja, die Gelder waren durch die Banca di Verona ausgezahlt worden. Er stand da, beide Hände auf die Schreibtischplatte gestützt, den Kopf über die Papiere geneigt, und sagte sich wieder, daß Gewißheit nicht dasselbe war wie handfeste Beweise. Aber sicher war er.
    Ravanello hatte ihm Kopien von Mascaris Konten bei der Bank versprochen, zweifellos eine Liste der Depots, die er verwaltete, oder der Kredite, die er bewilligte. Wenn Ravanello diese Unterlagen so bereitwillig zur Verfügung stellen wollte, konnte Brunetti sicher sein, daß die Dinge, nach denen er suchte, nicht dabei waren. Um Zugang zu den vollständigen Unterlagen der Bank und der Lega zu bekommen, brauchte Brunetti eine gerichtliche Verfügung, und dazu bedurfte es eines längeren Armes, als Brunetti ihn besaß.
    Pattas »Avanti« war durch die Tür zu hören, und Brunetti betrat das Büro seines Vorgesetzten. Patta blickte auf, sah den Commissario und beugte sich wieder über die Papiere vor sich. Sehr zu Brunettis Verwunderung schien er sie tatsächlich zu lesen, statt sie als Staffage für vorgebliche Geschäftigkeit zu benutzen.
    »Buon giorno, vice-questore«, sagte Brunetti, indem er weiter vortrat.
    Patta sah wieder hoch und deutete mit einer Handbewegung auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch. Als Brunetti saß, fragte Patta: »Habe ich das Ihnen zu verdanken?« wobei er mit dem Finger auf die Papiere vor sich zeigte.
    Da Brunetti keine Ahnung hatte, worum es in diesen Papieren ging, andererseits auch keinen taktischen Vorteil verschenken wollte, indem er es zugab, mußte er sich am Ton seines Vorgesetzten orientieren. Pattas Sarkasmus war normalerweise deutlich hörbar, aber davon war nichts zu merken gewesen. Da er noch keine Erfahrung mit Pattas Dankbarkeit hatte, ja eigentlich, wie etwa ein Theologe über Schutzengel, nur spekulieren konnte, ob sie überhaupt existierte, konnte Brunetti nicht sicher sein, daß Pattas Ton tatsächlich von diesem Gefühl bestimmt wurde.
    »Sind das die Unterlagen, die Ihnen Signorina Elettra gebracht hat?« fragte Brunetti ins Blaue, weil er Zeit gewinnen wollte.
    »Ja«, sagte Patta, und tätschelte das Papier, wie man den Kopf eines besonders geliebten Hundes tätscheln würde.
    Das genügte Brunetti. »Signorina Elettra hat die Knochenarbeit gemacht, aber ich habe ihr ein paar Anregungen gegeben, wo sie suchen könnte«, log er und schlug in falscher Bescheidenheit die Augen nieder, wie um anzudeuten, daß er es kaum wagte, für die Selbstverständlichkeit, Vice-Questore Patta einen Dienst zu erweisen, auch noch Lob zu erwarten.
    »Heute abend werden sie ihn festnehmen«, erklärte Patta mit grimmiger Freude.
    »Wer?«
    »Die Guardia di Finanza. Er hat bei seinem Einbürgerungsantrag in Monaco falsche Angaben gemacht, also ist er ungültig. Das heißt, er ist immer noch italienischer Staatsbürger und hat hier seit sieben Jahren keine Steuern bezahlt. Sie werden ihn kreuzigen. An den Füßen werden sie ihn aufhängen.«
    Der Gedanke an einige der Steuerhinterziehungen, mit denen frühere und derzeitige Minister davongekommen waren, ließ Brunetti daran

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