Brunetti 05 - Acqua alta
die Zweifel an der Qualität der Lehre in Harvard und Yale aufkommen ließ, wo Dottoressa Lynch ihre akademischen Grade erworben hatte, »die Dottoressa ist anscheinend mit ihm befreundet - und«, fügte er nach einer inhaltsschweren Pause hinzu, »zudem eine Wohltäterin der Stadt. Der Bürgermeister möchte darum, daß wir die Sache so schnell wie möglich untersuchen und erledigen.«
Brunetti schwieg, denn er wußte, wie gefährlich es jetzt für ihn wäre, irgendwelche Vorschläge zu machen. Er sah die Papiere auf Pattas Schreibtisch an, dann in das Gesicht seines Vorgesetzten.
»Woran arbeiten Sie gerade?« fragte Patta endlich, für Brunetti das Zeichen, daß er ihm den Fall übertragen wollte.
»An nichts, was nicht warten könnte.«
»Dann möchte ich, daß Sie sich der Sache annehmen.«
»Ja, Vice-Questore«, sagte Brunetti in der Hoffnung, daß Patta ihm jetzt keine speziellen Anweisungen erteilte.
Zu spät. »Gehen Sie in ihre Wohnung. Sehen Sie zu, was Sie dort herausfinden können. Reden Sie mit den Nachbarn.«
»Sehr wohl«, sagte Brunetti und stand auf, um ihn möglichst zum Schweigen zu bringen.
»Halten Sie mich auf dem laufenden, Brunetti.«
»Ja, Vice-Questore.«
»Ich will die Sache schnell erledigt haben, Brunetti. Die Frau ist mit dem Bürgermeister befreundet.« Und wie Brunetti wußte, waren Freunde des Bürgermeisters auch Pattas Freunde.
5
Als Brunetti wieder in seinem Büro war, telefonierte er nach Vianello. Kurz darauf trat der Sergente ein und ließ sich schwerfällig auf dem Stuhl vor Brunettis Schreibtisch nieder. Er holte ein kleines Notizbuch aus seiner Uniformtasche und sah seinen Vorgesetzten fragend an.
»Was wissen Sie über Gorillas, Vianello?«
Der Sergente überlegte einen Augenblick und fragte dann unnötigerweise: »Die im Zoo oder die anderen, die dafür bezahlt werden, daß sie zuschlagen?«
»Die bezahlten.«
Vianello ging im Geiste eine Liste durch, die er offenbar im Kopf hatte. »Ich glaube nicht, daß wir hier in der Stadt welche haben, Commissario. Aber in Mestre gibt es vier oder fünf, meist aus dem Süden.« Er hielt kurz inne, um weitere unsichtbare Listen zu durchforsten. »Ich habe gehört, daß es in Padua einige geben soll, und in Treviso oder Pordenone arbeiten angeblich auch welche, aber das sind Provinzler. Die echten sind die in Mestre. Gibt es hier bei uns Ärger mit ihnen?«
Da die uniformierten Kollegen die bisherigen Ermittlungen durchgeführt und auch Flavia vernommen hatten, ging Brunetti davon aus, daß Vianello von dem Überfall wußte. »Ich habe heute vormittag mit Dottoressa Lynch gesprochen. Die Männer, die sie zusammengeschlagen haben, wollten verhindern, daß sie zu einem Treffen mit Dottor Semenzato ging.«
»Vom Museum?« fragte Vianello.
»Ja.«
Vianello dachte einen Augenblick darüber nach. »Dann war es also kein Raubüberfall?«
»Nein, offenbar nicht. Jemand hat sie davon abgehalten.«
»Signora Petrelli?« fragte Vianello.
Das Schweizer Bankgeheimnis würde in Venedig keinen Tag halten. »Ja. Sie konnte sie vertreiben. Aber anscheinend waren sie nicht daran interessiert, irgend etwas mitgehen zu lassen.«
»Kurzsichtig von ihnen. Die Wohnung bietet sich ja geradezu an für Einbrüche.«
Diese Bemerkung gab Brunetti den Rest. »Woher wissen Sie das, Vianello?«
»Die Nachbarin meiner Schwägerin ist ihre Putzfrau. Dreimal die Woche putzt sie dort, und wenn die Dottoressa in China ist, kümmert sie sich um die Wohnung. Sie hat gesagt, was da drin ist, muß ein Vermögen wert sein.«
»Ein bißchen leichtsinnig, derartiges über eine Wohnung zu verbreiten, die so oft leer steht, finden Sie nicht?« meinte Brunetti ernst.
»Genau das habe ich ihr auch gesagt, Commissario.«
»Ich hoffe, sie hat es sich zu Herzen genommen.«
»Das hoffe ich auch.«
Nachdem der indirekte Verweis seine Wirkung verfehlt hatte, kam Brunetti auf die Gorillas zurück. »Fragen Sie noch mal in den Krankenhäusern nach, ob sich der eine, den sie verletzt hat, irgendwo gemeldet hat. Sie muß ihm eine ganz schöne Wunde verpaßt haben. Was ist mit den Fingerabdrücken auf dem Umschlag?«
Vianello sah von seinen Notizen hoch. »Ich habe Kopien nach Rom geschickt und gebeten, uns wissen zu lassen, ob sie etwas dazu sagen können.« Sie wußten beide, wie lange das dauern konnte.
»Versuchen Sie es auch bei Interpol.«
Vianello nickte und fügte seinen Notizen einen Namen hinzu. »Was ist mit Semenzato?« fragte er dann. »Worum
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