Brunetti 05 - Acqua alta
Wandleuchter. Er griff nach oben und bog einen der blattförmigen Arme etwas nach links, trat mit einem prüfenden Blick zurück und reckte sich wieder, um noch eine winzige Korrektur vorzunehmen. Zufrieden kam er zu Brunetti zurück. »Er ist seit etwa acht Jahren am Museum, unser Semenzato, und es ist ihm gelungen, eine Reihe internationaler Ausstellungen nach Venedig zu bekommen. Das heißt, er hat gute Beziehungen zu Museen in anderen Ländern und kennt viele Leute.«
»Noch etwas?« fragte Brunetti in neutralem Ton.
»Er ist ein guter Administrator. Hat ein paar hervorragende Leute engagiert und nach Venedig gebracht. Zwei Restauratoren hat er dem Courtauld mehr oder weniger abgeluchst, und er hat sich viel Neues einfallen lassen, um die Ausstellungen der Öffentlichkeit nahezubringen.«
»Ja, das ist mir aufgefallen.« Manchmal hatte Brunetti das Gefühl, Venedig werde zu einer Hure gemacht, die sich zwischen verschiedenen Freiern zu entscheiden hatte: Zuerst bekam die Stadt als Blickfang einen phönizischen Glasohrring verpaßt, tausendfach als Poster reproduziert, das nur allzu rasch durch ein Tizian-Portrait ersetzt wurde, dieses wurde wiederum von Andy Warhol vertrieben, den dann schnell ein silberner keltischer Hirsch ersetzte. Die Museen beklebten jede freie Fläche in der Stadt und buhlten mit allen Mitteln um die Aufmerksamkeit und die Eintrittsgelder der durchreisenden Touristen. Was kam wohl als nächstes? Leonardo-T-Shirts? Nein, die gab es bereits in Florenz. Er hatte jedenfalls schon so viele Ausstellungsplakate gesehen, daß es ihm für ein ganzes Leben in der Hölle reichte.
»Kennst du ihn?« fragte Brunetti, denn das konnte vielleicht der Grund für Leles untypische Objektivität sein.
»Wir sind uns nur ein paarmal begegnet.«
»Wo?«
»Das Museum hat mich einige Male um meine Meinung zu Fayencen gebeten, die ihm angeboten wurden. Ob ich sie für echt hielt oder nicht.«
»Und dabei hast du ihn kennengelernt?«
»Ja.«
»Was für einen Eindruck hattest du von ihm?«
»Er schien mir ein sehr angenehmer, kompetenter Mann zu sein.«
Brunetti hatte genug. »Komm schon, Lele, das ist hier ganz inoffiziell. Ich bin's, Guido, nicht Commissario Brunetti. Ich will wissen, was du von ihm hältst.«
Lele blickte auf die Tischplatte, rückte eine Keramikschale ein paar Millimeter nach links, sah zu Brunetti auf und sagte: »Ich glaube, seine Augen sind käuflich.«
»Was?« entfuhr es Brunetti.
»Na, wie bei Berenson. Sieh mal, man wird Experte für irgend etwas, und dann kommen die Leute zu einem und fragen, ob ein Stück echt ist oder nicht. Und weil man etwas Jahre oder vielleicht sogar ein ganzes Leben lang genau studiert hat, etwa einen Maler oder Bildhauer, glauben sie einem, wenn man sagt, daß etwas echt ist oder nicht.«
Brunetti nickte. In Italien wimmelte es von Experten; und einige von ihnen wußten sogar, wovon sie redeten. »Wieso Berenson?«
»Er hat offenbar seine Augen verkauft. Galeriebesitzer oder Privatsammler baten ihn, irgendwelche Stücke zu begutachten, und manchmal sagte er, sie seien echt, aber dann stellte sich später heraus, daß sie es nicht waren.« Brunetti wollte eine Frage einwerfen, aber Lele ließ ihn nicht zu Wort kommen. »Nein, frag gar nicht erst, ob das nicht ein gutgläubiger Irrtum hätte sein können. Es gibt Beweise, daß er sich hat bezahlen lassen, insbesondere von Duveen, und daß er am Erlös beteiligt war. Duveen hatte viele reiche amerikanische Kunden; du kennst ja die Sorte. Sie machen sich nicht die Mühe, etwas über Kunst zu lernen, wahrscheinlich bedeutet sie ihnen nicht einmal etwas, aber sie wollen, daß man sie als die Besitzer kennt. Also hat Duveen ihre "Wünsche und ihr Geld mit Berensons Sachkenntnis und gutem Ruf zusammengebracht, und alle waren zufrieden - die Amerikaner mit ihren Bildern, alle eindeutig beglaubigt, Duveen mit dem Profit aus seinen Verkäufen, und Berenson sowohl mit seinem Ruf als auch mit seinem Anteil.«
Brunetti ließ einen Moment verstreichen, bevor er fragte: »Und Semenzato macht das auch?«
»Ich weiß es nicht genau. Aber von den letzten vier Stücken, die ich begutachten sollte, waren zwei Imitationen.« Er dachte kurz nach und fügte dann widerwillig hinzu: »Gute Imitationen, aber eben doch Imitationen.«
»Woran hast du das gemerkt?«
Lele sah ihn an, als hätte Brunetti ihn gefragt, woher er wußte, daß eine bestimmte Blume eine Rose und keine Iris war. »Ich habe sie mir angesehen«,
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