Brunetti 05 - Acqua alta
Raubüberfall. Sie hat ein Vermögen in dieser Wohnung.«
Brunetti war nicht im geringsten überrascht von dem puren Neid in Pattas Stimme, seiner üblichen Reaktion auf anderer Leute Reichtum, wohl aber davon, daß sein Vorgesetzter ungefähr zu wissen schien, was sich in Bretts Wohnung befand. »Vielleicht«, sagte er.
»Da gibt es kein Vielleicht«, beharrte Patta. »Wenn es zwei Männer waren, dann war es ein Raubüberfall.«
Gaben Frauen sich demnach von Natur aus eher mit anderen Verbrechen ab? überlegte Brunetti.
Patta sah ihn an. »Das heißt, die Sache gehört ins Raubdezernat. Sollen die das machen. Wir sind hier kein Wohltätigkeitsverein, Commissario. Es ist nicht unsere Aufgabe, Ihren Freunden zu helfen, wenn sie in Schwierigkeiten geraten, schon gar nicht Ihren Lesbierinnen«, sagte er in einem Ton, der gleich ganze Heerscharen solcher Damen heraufbeschwor, als wäre Brunetti so etwas wie eine neuzeitliche Sankt Ursula mit elftausend jungen Frauen im Schlepp, alle jungfräulich, und alle lesbisch.
Brunetti hatte jahrelang Zeit gehabt, sich daran zu gewöhnen, daß vieles, was sein Vorgesetzter von sich gab, von Grund auf irrational war, aber manchmal konnte Patta ihn immer noch damit überraschen, wie verallgemeinernd und hitzig er seine schlimmsten Vorurteile an den Mann brachte. Was ihn wütend machte. »Wäre das dann alles?« fragte er.
»Ja, das wäre alles. Und denken Sie daran, es handelt sich um einen Raubüberfall, mit dem Sie nichts ...« Er unterbrach sich, weil das Telefon klingelte. Verärgert griff Patta nach dem Hörer und schrie in die Muschel: »Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sollen mir keine Gespräche durchstellen.«
Brunetti wartete, ob er jetzt den Hörer aufknallen würde, doch Patta preßte ihn statt dessen fester ans Ohr, und Brunetti sah Erschrecken in sein Gesicht treten.
»Ja, ja, natürlich bin ich zu sprechen«, sagte Patta. »Stellen Sie durch.«
Der Vice-Questore setzte sich etwas aufrechter hin und fuhr sich mit einer Hand durchs Haar, als glaubte er, der Anrufer könne ihn durch den Hörer sehen. Er lächelte, lächelte noch einmal, während er wartete, daß die Stimme am anderen Ende sich meldete. Brunetti hörte das ferne Grummeln einer Männerstimme, dann antwortete Patta: »Guten Morgen, Signore. Ja, danke, sehr gut. Und Ihnen?«
Etwas wie eine Antwort drang zu Brunetti durch. Er sah Patta nach einem Stift auf seinem Schreibtisch greifen, als hätte er den Mont Blanc Meisterstück in seiner Jackentasche vergessen. Er zog sich ein Blatt Papier heran. »Ja, ja, ich habe davon gehört. In diesem Moment habe ich darüber gesprochen.« Er hielt inne, und durch den Hörer tönten weitere Sätze, die bei Brunetti nur als undeutliches Gemurmel ankamen.
»Ja, Signore. Ich weiß. Es ist schrecklich. Ich war entsetzt, als ich davon hörte.« Wieder eine Pause, während am anderen Ende gesprochen wurde. Patta warf Brunetti einen raschen Blick zu und sah ebenso rasch wieder weg. »Ja, Signore. Einer meiner Leute war bereits bei ihr.« Ein Schwall heftiger Worte am anderen Ende. »Nein, Signore, natürlich nicht. Einer, der sie kennt. Ich habe ihm ausdrücklich gesagt, daß er sie nicht belästigen soll, nur sehen, wie es ihr geht, und mit ihren Ärzten sprechen. Natürlich, Signore. Das ist mir völlig klar.«
Patta klopfte mit seinem Stift rhythmisch auf die Schreibtischplatte. Er hörte zu. »Natürlich, natürlich, ich werde so viele Leute darauf ansetzen wie nötig. Wir kennen ihre Großzügigkeit gegenüber der Stadt.«
Er sah wieder zu Brunetti, dann auf den klopfenden Stift in seiner eigenen Hand und zwang sich, ihn wegzulegen. Lange hörte er zu, den Blick auf den Stift geheftet. Ein- oder zweimal versuchte er einen Einwurf, doch die ferne Stimme schnitt ihm das Wort ab. Die Hand fest um den Hörer gespannt, konnte Patta schließlich anbringen: »So bald wie möglich. Ich werde Sie persönlich auf dem laufenden halten, Signore. Ja, natürlich. Ja.« Es blieb ihm keine Zeit mehr für eine Abschiedsfloskel; die Stimme am anderen Ende war schon nicht mehr da.
Sanft legte er den Hörer auf und sah Brunetti an. »Das war, wie Sie wahrscheinlich mitbekommen haben, der Bürgermeister. Ich weiß nicht, wie er von der Geschichte erfahren hat, aber er wußte davon.« Das klang, als verdächtigte er Brunetti, im Bürgermeisteramt angerufen und eine anonyme Nachricht hinterlassen zu haben.
»Die Dottoressa«, begann er, wobei er den Titel in einer Weise aussprach,
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