Brunetti 05 - Acqua alta
dachte, erinnerte er sich an Lele, einen Freund seines Vaters, und an die Geschichten, die sogar ihm erzählt wurden, denn er war ein Junge, und man erwartete, daß er sie verstand, Geschichten über Lele und seine endlose Folge von donne, signore, ragazze, mit denen er am Tisch der Brunettis aufzukreuzen pflegte. Die Frauen waren inzwischen alle fort, vergessen über der Liebe zu seiner langjährigen Ehefrau, aber seine Leidenschaft für die Schönheit der Stadt war geblieben, das und seine schier grenzenlose Vertrautheit mit der Welt der Kunst und allem, was damit zusammenhing: Antiquitäten und Händler, Museen und Galerien.
Brunetti beschloß, zum Mittagessen nach Hause und dann direkt von dort aus zu Lele zu gehen. Aber da fiel ihm ein, daß Dienstag war und Paola mit den Kollegen der Fakultät in der Universität aß, was wiederum hieß, daß die Kinder bei den Großeltern essen würden und er für sich allein kochen und essen müßte. Um das zu vermeiden, ging er in eine Trattoria und dachte beim Essen darüber nach, was an einem Treffen zwischen einer Archäologin und einem Museumsdirektor so wichtig sein konnte, daß man es mit derartiger Brutalität zu verhindern suchte.
Kurz nach drei ging er über die Accademiabrücke und wandte sich nach links zum Campo San Vio, hinter dem Leles Galerie lag. Als Brunetti ankam, fand er den Künstler auf einer Leiter sitzend, in der einen Hand eine Taschenlampe, in der anderen eine isolierte Kombizange, mit der er an einem spaghettiähnlichen Gewirr aus Drähten in einer vertäfelten Nische über der Tür zu seinem Hinterzimmer herum werkelte. Brunetti war so daran gewöhnt, Lele in seinen dreiteiligen Nadelstreifenanzügen zu sehen, daß er diesen Anblick selbst in der jetzigen Position hoch oben auf einer Leiter nicht komisch fand. Lele schaute herunter und begrüßte ihn: »Ciao, Guido. Einen Moment noch, bis ich diese Drähte hier verbunden habe.« Er legte die Taschenlampe auf die oberste Leitersprosse, entfernte die Plastikisolierung von einem Draht und verband das blanke Ende mit einem zweiten. Dann zog er aus seiner Hosentasche eine dicke Rolle schwarzes Isolierband und umwickelte das Ganze damit. Schließlich drückte er mit der Zange den Draht wieder zwischen die anderen. Dann sagte er mit einem Blick nach unten zu Brunetti: »Guido, geh doch bitte mal ins Lager und schalte den Strom wieder ein.«
Brunetti ging in den großen Lagerraum zur Rechten und blieb kurz an der Tür stehen, bis seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten.
»Gleich links«, rief Lele.
Brunetti drehte sich um und sah den großen Sicherungskasten an der Wand. Er drückte den Hauptschalter hinunter, und der Lagerraum war plötzlich von Licht erfüllt. Er wartete wieder, diesmal darauf, daß seine Augen sich an die Helligkeit gewöhnten, bevor er in den Hauptraum der Galerie zurückging.
Lele war schon von der Leiter heruntergestiegen, die Öffnung über ihm war geschlossen. »Halt mir mal die Tür auf«, sagte er, als er mit seiner Leiter auf Brunetti zukam. Rasch verstaute er sie in dem hinteren Raum und war gleich darauf zurück, wobei er sich den Staub von den Händen wischte.
»Pantegane«, sagte er, das venezianische Wort für Ratten, das als Bezeichnung zwar eindeutig war, den Tierchen aber doch etwas Charmantes, Häusliches verlieh. »Sie fressen die Isolierung von den Kabeln.«
»Kannst du sie nicht vergiften?« fragte Brunetti.
»Ach«, schnaubte Lele. »Das Gift mögen sie noch lieber als Plastik. Sie gedeihen prächtig davon. Ich kann im Lager nicht einmal mehr Bilder aufbewahren; sie kommen und fressen die Leinwände. Oder das Holz.«
Unwillkürlich sah Brunetti zu den Bildern an den Wänden der Galerie, Szenen aus der Stadt in leuchtenden Farben, voller Licht und erfüllt von Leles Energie.
»Nein, die sind sicher. Hängen zu hoch. Aber ich warte nur darauf, daß ich eines Tages hereinkomme und feststelle, daß die kleinen Mistviecher sich nachts die Leiter aufgestellt und alle Bilder vertilgt haben.« Daß Lele dabei lachte, ließ seine Worte nicht weniger ernst klingen. Er legte Zange und Isolierband in eine Schublade und wandte sich Brunetti zu. »Also dann, was ist das für ein Gespräch, das du, leider als Polizist, mit mir führen mußt?«
»Semenzato, der Museumsdirektor, und die chinesische Ausstellung, die wir vor einigen Jahren hier hatten«, erklärte Brunetti.
Lele grunzte, ging durch den Raum und stellte sich unter einen schmiedeeisernen
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