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Brunetti 05 - Acqua alta

Brunetti 05 - Acqua alta

Titel: Brunetti 05 - Acqua alta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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Kleiderhaufen, die auf dem Fußboden landeten, so achtlos hingeworfen wie die in Raffis Schrank.

11
    Auf dem Weg zu SS. Giovanni e Paolo und Bretts Wohnung schlüpfte Brunetti hinter der Rialtobrücke in die überdachte Passage rechts von Goldonis Statue. Er wußte, daß Brett wieder zu Hause war, weil der Beamte, der im Hospital anderthalb Tage vor ihrem Krankenzimmer gewacht hatte, nach ihrer Entlassung in der Questura Bericht erstattet hatte. Vor ihrer Wohnung wurde keine Wache postiert, denn ein uniformierter Polizist konnte in einer der engen calli Venedigs kaum herumstehen, ohne von jedem Vorübergehenden gefragt zu werden, was er da mache, noch konnte ein Detektiv, der nicht selbst in der Gegend wohnte, sich länger als eine halbe Stunde dort aufhalten, ohne daß in der Questura angerufen und seine verdächtige Anwesenheit gemeldet wurde. Auswärtige mochten Venedig für eine Stadt halten; die Einheimischen wußten, daß es nur ein verschlafenes Provinznest war, das sich mit seinem Hang zu Klatsch, Neugier und Engstirnigkeit nicht vom kleinsten paese in Kalabrien oder Aspromonte unterschied.
    Obwohl er zuletzt vor mehr als vier Jahren in Bretts Wohnung gewesen war, fand er sie ohne große Schwierigkeiten auf der rechten Seite der Galle del Squero Vecchio, einer so winzigen Gasse, daß die Stadt es nie für nötig gehalten hatte, ein Namensschild anzubringen. Er klingelte, und kurz darauf fragte eine Stimme durch die Sprechanlage, wer da sei. Brunetti war froh, daß sie wenigstens diese kleine Vorsichtsmaßnahme ergriffen; allzuoft betätigten die Einwohner dieser friedlichen Stadt nur den Türöffner, ohne sich vorher zu erkundigen, wer da war.
    Das Gebäude war zwar in den letzten Jahren renoviert, das Treppenhaus frisch verputzt und gestrichen worden, aber Salz und Feuchtigkeit waren schon wieder am Werk und griffen die Farbe an, die sich in großen Placken löste und nun auf dem Boden verstreut lag wie Krümel unter einem Tisch. Als er den vierten und letzten Treppenabsatz erreicht hatte, schaute er hoch und sah, daß die schwere Metalltür zu der Wohnung offenstand, aufgehalten von Flavia Petrelli. Auf ihrem Gesicht lag, wenn auch noch nervös und angespannt, tatsächlich so etwas wie ein Lächeln.
    Sie gaben sich an der Tür die Hand, und sie trat zur Seite, um ihn einzulassen. Beide sprachen gleichzeitig, sie sagte: »Ich bin froh, daß Sie da sind«, und er: »Permesso«, während er in die Diele trat.
    Sie trug einen schwarzen Rock, dazu einen ausgeschnittenen Pullover in einem Kanariengelb, das nur wenige Frauen wagen würden. Die Farbe betonte Flavias olivefarbenen Teint und ihre fast schwarzen Augen. Aber bei genauerem Hinsehen stellte er fest, daß ihre Augen, so schön sie auch waren, müde wirkten, ihr Mund angespannt.
    Sie bat ihn abzulegen und hängte seinen Mantel in einen großen armadio, der linker Hand in der Diele stand. Er hatte den Bericht der Kollegen gelesen, die nach dem Überfall hiergewesen waren, und konnte nicht umhin, einen Blick auf den Boden und die Backsteinwand zu werfen. Von Blut war nichts zu sehen, aber er roch starke Reinigungsmittel und, wie er vermutete, Bohnerwachs.
    Flavia machte keine Anstalten, ihn ins Wohnzimmer zu führen, sondern blieb stehen und fragte leise: »Haben Sie schon etwas herausgefunden?«
    »Über Dottor Semenzato?«
    Sie nickte.
    Bevor er anworten konnte, rief Brett aus dem Wohnzimmer: »Schluß mit den Heimlichkeiten, Flavia, bring ihn herein.«
    Sie hatte den Anstand, zu lächeln und die Achseln zu zucken, bevor sie sich umdrehte und ins Wohnzimmer vorausging. Es sah noch so aus, wie er es in Erinnerung hatte, erfüllt von Licht, das durch sechs riesige Oberlichter fiel. Brett saß in dunkelroter Hose und schwarzem Pullover auf einem Sofa zwischen zwei hohen Fenstern. Brunetti sah, daß ihr Gesicht zum Teil noch immer beängstigend blau war, wenn auch längst nicht mehr so verschwollen wie im Krankenhaus. Sie rückte ein bißchen nach links, damit er sich neben sie setzen konnte, und reichte ihm die Hand.
    Er nahm die Hand, setzte sich neben sie, sah ihr ins Gesicht.
    »Kein Frankenstein mehr«, sagte sie und lächelte, um ihm zu zeigen, daß ihre Zähne nicht mehr mit Drähten fixiert waren wie fast die ganze Zeit im Krankenhaus und daß die aufgeplatzte Lippe so weit verheilt war, daß sie den Mund wieder schließen konnte.
    Da Brunetti die selbstherrliche Allwissenheit und damit einhergehende Unbeweglichkeit italienischer Ärzte kannte, fragte

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