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Brunetti 05 - Acqua alta

Brunetti 05 - Acqua alta

Titel: Brunetti 05 - Acqua alta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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Sie bei San Silvestro ab«, bot er lächelnd an.
    »Sehr freundlich von Ihnen«, sagte Brunetti, ebenfalls lächelnd, denn auch ihm war das Wort Überstunden ein Begriff. »Aber ich muß noch einmal in die Questura«, schwindelte er. »Außerdem habe ich ja meine Stiefel unten.« Das stimmte wenigstens, aber auch ohne Stiefel hätte er ihr Angebot abgelehnt. Er fühlte sich nicht sonderlich wohl in der Gesellschaft von Toten und hätte lieber seine Schuhe ruiniert, als in Begleitung einer Leiche nach Hause zu fahren.
    Soeben kam Vianello zurück und berichtete, daß er von den Wachen nichts Neues erfahren habe. Einer der Männer habe zugegeben, daß sie in dem kleinen Büro ferngesehen hatten, als die Putzfrau schreiend die Treppe heruntergerannt kam. Und diese Treppe, versicherte Vianello, sei der einzige Zugang zu diesem Teil des Museums.
    Sie blieben noch, bis die Leiche fortgebracht war, und warteten dann auf dem Korridor, bis die Männer von der Spurensicherung das Büro abgeschlossen und gegen den Zutritt Unbefugter versiegelt hatten. Alle vier gingen dann zusammen die Treppe hinunter und hielten vor der offenen Tür zum Wachraum an. Der Wachmann, der schon bei Brunettis Ankunft dagewesen war, sah von seiner Quattroruote auf, als er sie kommen hörte. Brunetti wunderte sich immer wieder, daß jemand, der in einer Stadt ohne Autos wohnte, eine Autozeitschrift las. Träumten einige seiner vom Meer umschlossenen Mitbürger vielleicht von Autos wie Gefängnisinsassen von Frauen? Sehnten sie sich in der absoluten Stille, die des Nachts über Venedig lag, nach Verkehrsgetöse und Hupkonzerten? Aber vielleicht wollten sie, viel undramatischer, nur bequem vom Supermarkt nach Hause fahren können, vor der Tür parken und die Einkäufe ausladen, statt schwere Tüten durch überfüllte Gassen, über Brücken und dann noch die vielen Treppen hinaufzuschleppen, die wohl das unausweichliche Schicksal aller Venezianer waren.
    Der Wachmann erkannte Brunetti und fragte: »Kommen Sie Ihre Stiefel holen, Commissario?«
    »Ja.«
    »Ich habe sie hier, unter dem Schreibtisch«, sagte er und zog die weiße Einkaufstüte hervor.
    Er reichte sie Brunetti, der sie ihm dankend abnahm.
    »Sicher aufgehoben«, grinste der Wachmann.
    Der Direktor des Museums war vor kurzem erschlagen in seinem Büro gefunden worden, und der oder die Täter waren ungesehen an diesem Wachraum vorbeigegangen, aber wenigstens waren Brunettis Stiefel sicher aufgehoben.

10
    Da Brunetti erst nach zwei Uhr nachts heimgekommen war, schlief er am nächsten Morgen bis fast halb neun und erwachte erst, wenn auch unwillig, als ihn Paola leicht an der Schulter rüttelte und sagte, der Kaffee stehe am Bett. Ein paar Minuten konnte er sich dem vollen Bewußtsein noch entziehen, aber dann stieg ihm der Kaffeeduft in die Nase, und er gab auf und stellte sich dem neuen Tag. Paola war verschwunden, nachdem sie ihm den Kaffee gebracht hatte, eine Maßnahme, deren Weisheit sie im Lauf der Jahre erkannt hatte.
    Als er seinen Kaffee getrunken hatte, schob Brunetti die Bettdecke zurück und ging zum Fenster. Regen. Er erinnerte sich, daß der Mond in der Nacht fast voll gewesen war, das bedeutete noch mehr acqua alta mit dem Gezeitenwechsel. Er tappte den Flur entlang zum Bad und duschte lange, versuchte ausreichend Wärme für den Tag zu speichern. Wieder im Schlafzimmer, zog er sich an und beschloß, während er die Krawatte knotete, lieber noch einen Pullover unters Jackett zu ziehen, da seine geplanten Besuche bei Brett und Lele ihn von einem Ende der Stadt ans andere führen würden. Er zog die zweite Schublade des armadio auf und wollte nach seinem grauen Lambswoolpullover greifen. Als er ihn nicht fand, suchte er in der nächsten Schublade, dann in der darüber. Mit detektivischem Spürsinn ging er die Stellen durch, an denen er sein konnte, sah noch in den anderen Schubladen nach und entsann sich dann endlich, daß sein Sohn Raffi ihn sich letzte Woche ausgeliehen hatte. Das bedeutete, daß er aller Wahrscheinlichkeit nach als zusammengeknäulte Wurst unten im Schrank seines Sohnes lag oder völlig zerdrückt ganz hinten in einer Schublade. Raffis in letzter Zeit besser gewordene schulische Leistungen hatten leider noch nicht auf seine Reinlichkeit und Ordnungsliebe abgefärbt.
    Er ging durch die Diele und, da die Tür offenstand, gleich weiter ins Zimmer seines Sohnes. Raffi war schon in der Schule, und Brunetti hoffte, daß er den Pullover nicht anhatte. Je mehr er an

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