Brunetti 05 - Acqua alta
Akzents heraushörte. »Sie erinnern sich bestimmt.«
Sie sagte nichts, ihre Hand hielt starr den Hörer umklammert, die Augen hatte sie in Erinnerung an jenen Besuch geschlossen.
»Professoressa, ich dachte, es könnte Sie interessieren, daß Ihre Freundin« - seine Stimme triefte vor Ironie bei diesem Wort - »daß Ihre Freundin Flavia Petrelli sich gerade mit ebendiesen Freunden von mir unterhält. Ja, jetzt, während wir beide hier telefonieren, sprechen meine Freunde mit ihr.«
»Was wollen Sie?« fragte Brett.
»Ach, ich hatte vergessen, wie direkt ihr Amerikaner seid. Nun, ich möchte mit Ihnen reden, Professoressa.«
Nach einer langen Pause fragte Brett: »Worüber?«
»Oh, über chinesische Kunst natürlich, insbesondere über einige Keramiken aus der Han-Dynastie, die Sie sicher gern einmal sehen würden. Aber bevor wir dazu kommen, sollten wir uns über Signora Petrelli unterhalten.«
»Ich will nicht mit Ihnen reden.«
»Das hatte ich befürchtet, Dottoressa. Darum habe ich mir erlaubt, Signora Petrelli zu mir zu bitten.«
Brett sagte das einzige, was ihr einfiel: »Sie ist hier bei mir.«
Der Mann lachte laut heraus. »Bitte, Dottoressa, ich weiß genau, wie klug Sie sind, also versuchen Sie mir jetzt nicht dumm zu kommen. Wenn sie bei Ihnen wäre, hätten Sie längst aufgelegt und die Polizei gerufen, statt mit mir zu sprechen.« Er ließ das wirken und fragte dann: »Habe ich nicht recht?«
»Und woher soll ich wissen, daß sie bei Ihnen ist?«
»Oh, das können Sie nicht wissen, Dottoressa. Das gehört zum Spiel, verstehen Sie? Aber Sie wissen, daß sie nicht bei Ihnen ist, und Sie wissen, daß sie seit vierzehn Minuten nach zwei fort ist, als sie Ihre Wohnung verließ und Richtung Rialto ging. Es ist ein unangenehmer Tag zum Spazierengehen. Es regnet sehr. Eigentlich sollte sie, wenn ich mir erlauben darf, das zu sagen, schon längst wieder zurück sein, nicht wahr?« Als Brett nicht antwortete, wiederholte er in strengerem Ton: »Nicht wahr?«
»Was wollen Sie«, fragte Brett müde.
»Schon besser. Ich möchte, daß Sie mich besuchen, Dottoressa. Und zwar sofort. Ziehen Sie Ihren Mantel an und gehen Sie aus dem Haus. Sie werden unten erwartet und zu mir gebracht. Sowie Sie das tun, kann Signora Petrelli gehen.«
»Wo ist sie?«
»Sie erwarten doch nicht, daß ich Ihnen das erzähle, Dottoressa, oder?« fragte er mit gespieltem Erstaunen. »Also, sind Sie bereit, zu tun, was ich Ihnen sage?«
Ihre Antwort war heraus, bevor sie darüber nachgedacht hatte: »Sì.«
»Sehr gut. Sehr klug. Ich denke, Sie werden darüber sehr froh sein. Ebenso Signora Petrelli. Nach unserem Gespräch werden Sie den Hörer nicht auflegen. Ich möchte nicht, daß Sie irgendwo anrufen. Das verstehen Sie doch?«
»Ja.«
»Ich höre Musik im Hintergrund. Die Jupiter-Symphonie?«
»Ja.«
»Welche Interpretation?«
»Abbado«, antwortete sie, erfüllt von einem zunehmenden Gefühl der Unwirklichkeit.
»Oh, das ist keine gute Wahl, gar nicht gut«, sagte er rasch und ohne seine Enttäuschung über ihren Geschmack verbergen zu wollen. »Italiener verstehen einfach nicht, Mozart zu dirigieren. Aber darüber können wir noch diskutieren, wenn Sie hier sind. Vielleicht können wir uns eine Aufnahme unter Karajan anhören; die halte ich für weitaus besser. Lassen Sie die Musik jetzt weiterspielen, holen Sie Ihren Mantel, und gehen Sie nach unten. Versuchen Sie nicht, eine Nachricht zu hinterlassen, denn jemand wird mit Ihrem Schlüssel wieder hinaufgehen und sich in der Wohnung umsehen; die Mühe können Sie sich also sparen. Haben Sie verstanden?«
»Sì«, antwortete sie mit tonloser Stimme.
»Dann legen Sie jetzt den Hörer weg, holen Sie Ihren Mantel, und verlassen Sie die Wohnung«, befahl er, und zum erstenmal kam sein Ton dem nahe, wie er wohl normalerweise sprach.
»Woher weiß ich, daß Sie Flavia gehen lassen?« fragte Brett, mühsam beherrscht.
Diesmal lachte er. »Das wissen Sie nicht, sehr richtig. Aber ich versichere Ihnen, ja, ich gebe Ihnen sogar mein Wort als Ehrenmann, daß jemand, sobald Sie mit meinen Freunden aus Ihrer Wohnung kommen, anrufen wird, und Signora Petrelli kann gehen.« Als sie darauf nichts sagte, fügte er hinzu: »Etwas anderes bleibt Ihnen nicht übrig, Dottoressa.«
Sie legte den Hörer auf den Tisch, ging in die Diele und holte ihren Mantel aus dem großen Schrank. Sie ging zurück ins Zimmer und nahm einen Stift von ihrem Schreibtisch. Rasch kritzelte sie ein paar
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