Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brunetti 05 - Acqua alta

Brunetti 05 - Acqua alta

Titel: Brunetti 05 - Acqua alta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
Vom Netzwerk:
schließlich, wobei er seinen Schirm zuklappte und ihr gab. Dann bückte er sich und hob sie so rasch hoch, daß sie vor Überraschung die Arme um ihn schlang und ihm dabei den Schirmgriff ins Genick schlug. Er stolperte vorwärts, einen Arm um ihre Schultern, den anderen unter ihren Kniekehlen, kam wieder ins Gleichgewicht und ging weiter. Zweimal mußte er noch abbiegen, dann hatten sie die Haustür erreicht.
    Sein Haar war triefnaß; der Regen lief ihm in den Kragen und an seinem Körper herunter. Einmal war er gestolpert, während er sie trug, und das kalte Wasser war ihm über den Stiefelrand in den Schuh geschwappt. Aber er hatte sie bis zur Haustür getragen, wo er sie nun absetzte und sich das Haar aus der Stirn strich.
    Sie öffnete schnell die Tür und trat in den Flur, in dem das Wasser genauso hoch stand wie draußen. Sie watete hindurch bis zur zweiten Stufe, wo es trocken war. Als sie Brunetti hinter sich herplatschen hörte, ging sie noch zwei Stufen höher und drehte sich zu ihm um. »Grazie.«
    Sie streifte ihren zweiten Schuh ab und ließ ihn einfach liegen, dann stieg sie weiter die Treppe hinauf, Brunetti dicht hinter ihr. Auf dem zweiten Treppenabsatz hörten sie die Musik durchs Treppenhaus heruntertönen. Oben vor der Eisentür kramte sie einen Schlüssel hervor, steckte ihn ins Schlüsselloch und drehte ihn um. Die Tür bewegte sich nicht. Sie zog den Schlüssel wieder heraus, nahm einen anderen, und öffnete mit ihm das zweite Schloß oben an der Tür, dann erneut das erste. »Merkwürdig«, sagte sie und drehte sich zu Brunetti um. »Doppelt abgeschlossen.« Ihm erschien es recht vernünftig, daß Brett die Tür von innen total verriegelte.
    »Brett«, rief Flavia, während sie die Tür aufstieß. Musik kam ihnen entgegen, nicht aber Brett. »Ich bin's«, rief Flavia. »Guido ist mitgekommen.«
    Keine Antwort. Barfuß und eine nasse Spur hinterlassend, lief Flavia ins Wohnzimmer, dann nach hinten, um in beiden Schlafzimmern nachzusehen. Als sie zurückkam, war sie ganz blaß. Hinter ihr jauchzten die Violinen, Trompeten schmetterten, und es herrschte wieder universelle Harmonie. »Sie ist nicht da, Guido. Sie ist weg.«

21
    Nachdem Flavia an diesem Nachmittag türenschlagend die Wohnung verlassen hatte, saß Brett da und starrte auf die Notizen, die sie vor sich auf dem Schreibtisch liegen hatte. Ihr Blick fiel auf Tabellen mit den Brenntemperaturen verschiedener Holzarten, den Größen der Brennöfen, die man in Westchina ausgegraben hatte, den Isotopen in den Grabgefäßglasuren aus derselben Gegend und einer ökologischen Rekonstruktion der Flora dieses Gebietes, wie sie vor zweitausend Jahren ausgesehen hatte. Wenn sie die Daten auf eine bestimmte Weise auswertete und verknüpfte, kam sie zu einem Ergebnis, wie die Keramiken gebrannt worden waren, aber wenn sie die Variablen einander anders zuordnete, wurde ihre These widerlegt; es war alles barer Unsinn, und sie hätte in China bleiben sollen, wo sie hingehörte.
    Das Wort brachte sie auf die Frage, ob sie dort je wieder hingehören würde, wenn es Flavia und Brunetti irgendwie gelang, alles so hinzubiegen - ein besserer Ausdruck fiel ihr nicht ein -, daß sie ihre Arbeit fortsetzen konnte. Angewidert schob sie die Papiere von sich. Es hatte keinen Sinn, den Artikel fertig zu schreiben, wenn doch die Verfasserin demnächst schon als wichtiges Rädchen in einem gigantischen Kunstschwindel entlarvt würde. Sie stand auf und ging zu den ordentlich aufgereihten CDs, um eine Musik herauszusuchen, die ihrer derzeitigen Stimmung entsprach. Kein Gesang. Nicht von diesen Dickwänsten, die von Liebe und Leid sangen. Liebe und Leid. Und bestimmt kein Cembalo; dieses Geklimper würde ihr den letzten Nerv rauben. Also dann die Jupiter-Symphonie. Wenn ihr etwas beweisen konnte, daß es noch Verständigkeit, Freude und Liebe auf der Welt gab, dann diese Musik.
    Von Verständigkeit und Freude war sie schon überzeugt, und gerade begann sie auch wieder an die Liebe zu glauben, als das Telefon klingelte. Sie nahm nur ab, weil sie dachte, es wäre Flavia, die schon seit über einer Stunde fort war.
    »Pronto«, sagte sie, wobei ihr bewußt wurde, daß sie zum erstenmal seit einer Woche wieder das Telefon benutzte.
    »Professoressa Lynch?« fragte eine Männerstimme.
    »Ja.«
    »Freunde von mir haben Ihnen letzte Woche einen Besuch abgestattet«, sagte der Mann mit wohlklingender, ruhiger Stimme, aus der man die gedehnten Laute seines sizilianischen

Weitere Kostenlose Bücher