Brunetti 06 - Sanft entschlafen
energisch Anlauf und begann die Stufen hinaufzulaufen. Nach dem ersten Dutzend ging ihm die Luft aus, und er fiel ins Schrittempo zurück. Oben verschnaufte er kurz und schaute nach links zu dem Bogen, den der Canal Grande in Richtung San Marco und Dogenpalast beschrieb. Die Sonne blitzte auf dem Wasser, auf dem sich die ersten schwarzköpfigen Möwen der Saison wiegten.
Als er wieder bei Atem war, ging er auf der anderen Seite der Brücke hinunter, und der milde Tag stimmte ihn so zufrieden, daß er gar nicht einmal wie sonst Anstoß an den verstopften Straßen und dem Touristengewimmel nahm. An den Obst- und Gemüse ständen, zwischen denen er hindurchging, sah er den ersten Spargel und überlegte, ob er Paola dazu bringen könnte, welchen zu kaufen. Ein Blick auf den Preis belehrte ihn, daß er darauf frühestens in einer Woche hoffen konnte, wenn der Markt damit überschwemmt war und der Preis auf die Hälfte sank. Im Weitergehen studierte er die Gemüse und die Preise und wechselte hin und wieder ein Kopfnicken oder einen Gruß mit Leuten, die er kannte. Am letzten Stand rechts entdeckte er etwas Grünes, dessen Blattform ihm bekannt vorkam, und ging hin, um es sich näher anzusehen.
»Ist das puntarella?« fragte er, ganz überrascht, diesen Salat schon so früh im Jahr auf dem Markt zu sehen.
»Ja, und außerdem der beste in Rialto«, versicherte ihm der Verkäufer, dessen Gesicht rot war vom jahrelangen Weingenuß. »Sechstausend das Kilo, und das ist billig.«
Brunetti weigerte sich, auf diese absurde Behauptung zu antworten. In seiner Jugend hatte dieses Zichoriengewächs ein paar hundert Lire das Kilo gekostet, und nur wenige Leute aßen es; wer es kaufte, verfütterte es meist an die Kaninchen, die illegal in den Hinterhöfen und Gärten gehalten wurden.
»Ich nehme ein halbes Kilo«, sagte Brunetti, während er ein paar Geldscheine aus der Tasche kramte.
Der Verkäufer beugte sich über die Gemüseberge und raffte eine Handvoll von den gezackten grünen Blättern zusammen. Er zauberte wie ein Magier von irgendwoher ein braunes Papier, knallte es auf die Waage, ließ die Blätter darauf fallen und wickelte das Ganze rasch zu einem ordentlichen Päckchen zusammen, legte es auf eine Steige mit sorgsam aufgestapelten Baby-Zucchini und streckte die Hand aus. Brunetti gab ihm drei Tausendlirescheine, verlangte keine Plastiktüte und setzte seinen Heimweg fort.
Bei der Uhr hoch oben an der Mauer wandte er sich nach links in Richtung San Aponal und Zuhause. Ohne zu überlegen, bog er rechts ab, ging zu Do Mori hinein und ließ sich eine mit Schinken umwickelte dünne Brotstange geben, deren salzigen Geschmack er mit einem Glas Chardonnay hinunterspülte.
Einige Minuten später, wieder außer Atem von den über neunzig Stufen zu seiner Wohnung, schloß er die Tür auf und wurde von einem Düftegemisch begrüßt, das seine Seele wärmte und ihm von Heim, Herd, Familie und Freude sang.
Obwohl der betäubende Geruch nach Knoblauch und Zwiebeln keinen Zweifel daran ließ, rief er: »Paola, bist du da?«
Ein lautes »Si« aus der Küche antwortete ihm und zog ihn über den Flur zu ihr. Er legte sein Päckchen auf den Küchentisch und ging zu Paola an den Herd, um ihr einen Kuß zu geben und zu sehen, was sie da in der Pfanne brutzelte.
Rote und gelbe Paprikastreifen schmorten in einer dicken Tomatensoße, aus der es nach Sardellen duftete. »Tagliatelle?« fragte er hoffnungsvoll.
Sie lächelte und beugte sich vor, um weiter in der Soße zu rühren. »Natürlich.« Dann drehte sie sich um und sah das Päckchen auf dem Tisch. »Was ist das?«
»Puntarella. Ich dachte, das paßt als Salat zur Anchovissoße.«
»Gute Idee«, meinte sie hörbar erfreut. »Wo hast du das aufgetrieben?«
»Bei dem Mann, der seine Frau schlägt.«
»Wie?« fragte sie verwirrt.
»Am letzten Stand rechts, wenn man zum Fischmarkt geht; der Mann mit der roten Nase.«
»Schlägt der seine Frau?«
»Na ja, wir hatten ihn schon dreimal in der Questura. Aber jedesmal zieht sie die Anzeige zurück, wenn sie wieder nüchtern ist.«
Brunetti sah sie im Geiste die Reihe der Verkäufer auf der rechten Marktseite durchgehen. »Ist das die Frau mit der Nerzjacke?« fragte sie schließlich.
»Ja.«
»Das wußte ich gar nicht.«
Brunetti zuckte die Achseln.
»Kannst du da nichts machen?« fragte sie.
Da er hungrig war und eine Diskussion seine Mahlzeit hinauszögern würde, antwortete er knapp: »Nein. Nicht unsere Aufgabe.«
Er
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