Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brunetti 06 - Sanft entschlafen

Brunetti 06 - Sanft entschlafen

Titel: Brunetti 06 - Sanft entschlafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
Vom Netzwerk:
mit kaum zu überhörender Verwunderung.
    »Ja, ja«, versetzte der Mönch mit stolzem Lächeln. »Das sind die Frühblüher, diese dunklen; Dilatata und Claude Bernard und Ruhm von Horstenstein.« Brunetti vermutete, daß die fremd klingenden Wörter für die Namen der Fliedersorten standen, die er roch. »Die weißen da drüben an der Mauer«, sagte der Mönch, indem er Brunettis Ellbogen faßte und nach links zeigte, wo ein Dutzend grünblättriger Büsche sich an die hohe Backsteinmauer schmiegte, »White Summers und Marie Finon und Ivory Silk, die blühen frühestens im Juni, und wahrscheinlich werden wir einige von ihnen noch bis Juli in Blüte haben, wenn die Hitze nur nicht zu früh kommt.« Er blickte mit einer Zufriedenheit um sich, die sich in seinem Gesicht wie auch in seiner Stimme ausdrückte, als er sagte: »Wir haben siebenundzwanzig verschiedene Sorten in diesem Garten. Und in unserem Ordenshaus bei Trient sind es weitere vierunddreißig.« Ehe Brunetti darauf etwas sagen konnte, fuhr er fort: »Sie kommen von weit her - sogar aus Minnesota...«, er sprach das Wort mit italienischer Betonung, »...und aus Wisconsin...«, ein Wort, das ihm kaum von der Zunge wollte, »Und Sie sind der Gärtner?« fragte Brunetti, obwohl das eigentlich keiner Frage bedurfte.
    »Durch Gottes Güte, ja, der bin ich. Ich habe in diesem Garten schon gearbeitet«, begann er, wobei er Brunetti genauer ansah, »als Sie noch ein kleiner Junge waren.«
    »Wunderschön, Bruder. Sie können stolz darauf sein.«
    Der alte Mann warf Brunetti unter seinen buschigen Brauen hervor einen raschen Blick zu. Stolz war immerhin eine der sieben Todsünden. »Ich meine, stolz, daß solche Schönheit zu Gottes Ehre gereicht«, korrigierte sich Brunetti, und der Mönch konnte wieder lächeln.
    »Der Herr macht nie etwas, was nicht schön ist«, sagte der alte Mann, schon auf dem Ziegelpfad, der durch den Garten führte. »Wer daran zweifelt, braucht sich nur seine Blumen anzusehen.« Er bekräftigte diese schlichte Wahrheit mit einem Kopfnicken und fragte: »Haben Sie einen Garten?«
    »Nein, leider nicht«, antwortete Brunetti.
    »Wie schade. Es ist so schön, Dinge wachsen zu sehen. Da spürt man das Leben.« Er blieb an einer Tür stehen, öffnete sie und trat beiseite, um Brunetti in den langen Gang des Klosters zu lassen.
    »Tun Kinder es auch?« fragte Brunetti lächelnd. »Davon habe ich zwei.«
    »Oh, Kinder bedeuten mehr als alles auf der Welt«, meinte der Mönch und lächelte Brunetti an. »Es gibt nichts Schöneres, und nichts gereicht dem Herrn zu größerer Ehre.«
    Brunetti erwiderte das Lächeln und nickte; zumindest mit dem ersten Halbsatz war er einverstanden.
    Der Mönch hielt vor einer Tür an und klopfte. »Gehen Sie nur hinein«, sagte er, ohne auf eine Antwort von drinnen zu warten. »Padre Pio sagt immer, wir sollen niemanden abhalten, der zu ihm möchte.« Mit einem Lächeln und einem Klaps auf Brunettis Arm machte der Mönch sich wieder auf den Weg zurück in seinen Garten und zu den Düften des Paradieses, als die Brunetti sie immer empfunden hatte.
    An einem Tisch saß ein hochgewachsener Mann und schrieb. Als Brunetti eintrat, sah er auf, legte seinen Stift weg und erhob sich. Er kam hinter dem Schreibtisch hervor und mit ausgestreckter Hand auf seinen unbekannten Besucher zu, wobei ein Lächeln zuerst um seine Augen erschien und sich dann bis zum Mund ausbreitete.
    Der Pater hatte so volle und rote Lippen, daß jeder, der ihn zum erstenmal sah, seine Aufmerksamkeit sofort auf sie richtete, aber welcher Geist in ihm wohnte, das verrieten seine Augen. Sie waren zwischen grau und grün und versprühten eine Neugier und ein Interesse an seiner Umgebung, das gewiß sein ganzes Handeln bestimmte, vermutete Brunetti. Er war groß und sehr schmal, was das Gewand des Ordens vom Heiligen Sakrament durch seine langen Falten noch betonte. Der Mann mußte schon Mitte Vierzig sein, aber sein Haar war noch dunkel, der einzige Hinweis auf das Alter war eine beginnende natürliche Tonsur auf dem Scheitel.
    »Buon giorno«, sagte der Pater freundlich. »Was kann ich für Sie tun?« Obwohl er im singenden Tonfall des Veneto sprach, hatte er keinen venezianischen Akzent. Vielleicht aus Padua, dachte Brunetti, aber bevor er etwas sagen konnte, fuhr der Pater fort: »Aber entschuldigen Sie. Nehmen Sie doch bitte Platz. Hier.« Mit diesen Worten zog er einen von zwei kleinen Polsterstühlen heran, die links von seinem Schreibtisch

Weitere Kostenlose Bücher