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Brunetti 06 - Sanft entschlafen

Brunetti 06 - Sanft entschlafen

Titel: Brunetti 06 - Sanft entschlafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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Hinter der Contessa fuhren Boote auf dem Canal Grande vorbei, aus den Fenstern gegenüber fiel Licht darauf. Er wollte noch etwas sagen, aber bevor er den Mund aufmachen konnte, sagte sie: »Grüß bitte Paola und die Kinder von uns.« Sie tätschelte seinen Arm und ging an ihm vorbei. Dann war sie fort, und er stand allein da mit der Aussicht aus dem Palazzo, der eines Tages ihm gehören würde.

7
    N ach sieben schloß Brunetti die Wohnungstür auf, hängte seinen Mantel weg und ging schnurstracks zu Paolas Arbeitszimmer. Er fand sie, wie nicht anders erwartet, in ihrem abgescheuerten Sessel, ein Bein unter sich gezogen, einen Stift in der Hand, ein offenes Buch auf dem Schoß. Sie sah auf, als er hereinkam, schmatzte ihm übertrieben laut einen Kuß entgegen, versenkte den Blick aber gleich wieder in ihr Buch. Brunetti setzte sich ihr gegenüber aufs Sofa, drehte sich dann zur Seite und streckte sich lang aus. Er nahm zwei Samtkissen und stopfte sie sich unter den Kopf. Zuerst schaute er an die Decke, dann schloß er die Augen, denn er wußte, daß sie nur noch den Abschnitt zu Ende lesen und sich dann ganz ihm widmen würde.
    Eine Seite wurde umgeblättert. Minuten vergingen. Er hörte das Buch zu Boden fallen und sagte: »Ich wußte gar nicht, daß deine Mutter liest.«
    »Na ja, bei schweren Wörtern läßt sie sich von Luciana helfen.«
    »Ich meine, daß sie Bücher liest.«
    »Anstelle von was? Handlinien?«
    »Nein, wirklich, Paola, ich wußte nicht, daß sie richtige Bücher liest.«
    »Ist sie immer noch bei Augustinus?«
    Brunetti hatte keine Ahnung, ob das ein Scherz sein sollte oder nicht, also antwortete er: »Nein. Darwin. The Voyage of the Beagle.«
    »Ach ja?« meinte Paola, offenbar kaum interessiert.
    »Wußtest du, daß sie so was liest?«
    »Wie du das sagst, sollte man meinen, sie läse Kinderpornos, Guido.«
    »Nein, ich habe mich nur gefragt, ob du weißt, daß sie solche Bücher liest; daß sie eine ernsthafte Leserin ist.«
    »Sie ist schließlich meine Mutter. Natürlich wußte ich das.«
    »Aber du hast es mir nie gesagt.« »Hättest du dann mehr für sie übrig als so?«
    »Ich habe viel für deine Mutter übrig, Paola«, erklärte er, vielleicht etwas zu nachdrücklich. »Ich will nur sagen, daß ich nie so richtig wußte, wer sie ist. Oder«, verbesserte er sich, »wie sie ist.«
    »Und wenn du weißt, was sie liest, weißt du, wer sie ist?«
    »Kannst du mir etwas nennen, woran man das besser erkennt?«
    Paola überlegte lange, ehe sie ihm die erwartete Antwort gab. »Nein, ich glaube nicht.« Er hörte sie auf ihrem Sessel herumrutschen, hielt aber die Augen geschlossen. »Wie bist du darauf gekommen, dich mit meiner Mutter zu unterhalten? Und woher weißt du das mit dem Buch? Du hast sie doch sicher nicht angerufen, um Lesetips einzuholen.«
    »Nein, ich habe sie besucht.«
    »Meine Mutter? Du hast meine Mutter besucht?«
    Brunetti brummte.
    »Warum denn das?«
    »Um mich nach ein paar Leuten zu erkundigen, die sie kennt.«
    »Nach wem?«
    »Benedetta Lerini.«
    »Oh, là, là!« jubilierte Paola. »Was hat sie verbrochen? Endlich gestanden, daß sie ihrem Vater, diesem alten Miststück, mit einem Hammer den Schädel eingeschlagen hat?«
    »Soviel ich weiß, ist er an einem Herzinfarkt gestorben.«
    »Zu allseitiger Freude, wie ich annehme?«
    »Wieso allseitig?« fragte Brunetti, und als Paola längere Zeit nicht antwortete, öffnete er die Augen und spähte zu ihr hinüber. Sie hatte jetzt das andere Bein unter sich gezogen und ihr Kinn auf die Hand gestützt. »Nun?« drängte er.
    »Komisch, Guido. Jetzt, wo du danach fragst, könnte ich dir gar nicht sagen, warum. Wahrscheinlich nur, weil ich immer gehört habe, was für ein schrecklicher Mensch er ist.«
    »Schrecklich inwiefern?«
    Wieder kam ihre Antwort mit großer Verzögerung. »Ich weiß es nicht. Ich kann mich an nichts erinnern, jedenfalls nichts Bestimmtes, was ich über ihn gehört hätte; nur so ganz allgemein, daß er ein Fiesling war. Komisch, nicht?«
    Brunetti schloß die Augen wieder. »Komisch, ja, vor allem in dieser Stadt.«
    »Du meinst, weil hier jeder jeden kennt?«
    »So ungefähr.« »Stimmt wohl.« Beide verstummten, und Brunetti wußte, daß sie in ihren Gedächtniswindungen kramte und nach irgendeiner Bemerkung, einem Kommentar suchte, einem Hinweis darauf, woher diese Meinung über den verstorbenen Signor Lerini stammte, die sie sich offenbar ungeprüft zu eigen gemacht hatte.
    Paolas Stimme holte

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