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Brunetti 06 - Sanft entschlafen

Brunetti 06 - Sanft entschlafen

Titel: Brunetti 06 - Sanft entschlafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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standen, und wartete, bis Brunetti saß, ehe er sich ihm gegenüber auf dem anderen niederließ.
    Plötzlich war Brunetti ganz von dem Wunsch erfüllt, diese Sache rasch hinter sich zu bringen und dann Maria Testa mitsamt ihrer Geschichte zu den Akten zu legen. »Ich möchte gern mit Ihnen über ein Mitglied Ihres Ordens sprechen, Padre.«
    Ein Windstoß fuhr durch den Raum und raschelte in den Papieren auf dem Schreibtisch, was Brunetti die Verheißungen der bevorstehenden Jahreszeit ins Gedächtnis rief. Er fühlte, wie warm es war, und als er sich umschaute, sah er die Fenster zum Hof offenstehen, so daß die Fliederdüfte hereinströmen konnten.
    Der Pater bemerkte Brunettis Blick. »Ich habe das Gefühl, ich verbringe den ganzen Tag damit, Papiere auf meinem Schreibtisch festzuhalten«, meinte er mit verlegenem Lächeln. »Aber der Flieder blüht nur so kurze Zeit, und ich möchte soviel wie möglich von seinem Duft genießen.« Er senkte kurz den Blick, dann sah er wieder zu Brunetti auf. »Das ist wahrscheinlich auch eine Art der Völlerei.«
    »Ich halte es nicht für ein schlimmes Laster, Padre«, antwortete Brunetti mit ungezwungenem Lächeln.
    Der Pater nickte, dankbar für Brunettis Worte. »Ich möchte nicht, daß es unhöflich klingt, Signore, aber ich glaube, ich muß Sie fragen, wer Sie sind, bevor ich mit Ihnen über einen Angehörigen unseres Ordens spreche.« Sein Lächeln war verlegen, und er streckte abbittend die Hand zwischen ihnen aus.
    »Ich bin Commissario Brunetti.«
    »Von der Polizei?« fragte der Pater, ohne seine Überraschung verbergen zu wollen.
    »Ja.«
    »Gütiger Himmel. Es wird doch niemandem etwas zugestoßen sein?«
    »Nein, nein. Ich möchte mich nur nach einer jungen Frau erkundigen, die Mitglied Ihres Ordens war.«
    »War, Commissario?« fragte der andere. »Eine Frau?«
    »Ja.«
    »Ich fürchte, dann kann ich Ihnen keine große Hilfe sein. Die Mutter Oberin könnte Ihnen viel mehr sagen als ich. Sie ist die geistliche Mutter der Schwestern.«
    »Ich glaube aber, Sie kennen die Frau, Padre.«
    »So, wer ist es denn?«
    »Maria Testa.«
    Das Lächeln, mit dem der Pater sich für seine Unwissenheit zu entschuldigen versuchte, war ganz und gar entwaffnend. »Der Name sagt mir leider nichts, Commissario. Könnten Sie mir sagen, wie sie hieß, als sie noch in unserem Orden war?«
    »Suor Immacolata.«
    Das Lächeln des Paters schwand, und ein Ausdruck des Schmerzes trat an seine Stelle. Er senkte den Kopf, und Brunetti sah, wie seine Lippen sich in stillem Gebet bewegten. Dann blickte er auf und fragte: »Demnach ist sie mit ihrer Geschichte zu Ihnen gekommen?«
    Brunetti nickte.
    »Dann glaubt sie wohl wirklich daran«, sagte Padre Pio mit reinem Mitgefühl in der Stimme. Plötzlich sah er Brunetti erschrocken an. »Sie hat sich doch nicht in Schwierigkeiten gebracht, indem sie diese Dinge verbreitete?«
    Diesmal war es Brunetti, der die Hand vor sich ausstreckte. »Wir haben nur einige Fragen zu ihr, Padre. Glauben Sie mir, sie hat nichts Unrechtes getan.« Die Erleichterung des Paters war deutlich zu sehen. Brunetti fuhr fort:
    »Wie gut kannten Sie Suor Immacolata, Padre?«
    Padre Pio ließ sich die Frage ein paar Augenblicke durch den Kopf gehen, bevor er sie beantwortete: »Das ist schwer zu sagen, Commissario.«
    »Ich dachte, Sie wären ihr Beichtvater gewesen.«
    Der Pater riß die Augen weit auf, aber dann senkte er rasch den Blick, um sich seine Überraschung nicht anmerken zu lassen. Er faltete die Hände und überlegte, was er sagen sollte, dann sah er Brunetti wieder an. »Ich fürchte, es wird Ihnen unnötig kompliziert vorkommen, Commissario, aber ich muß hier streng zwischen meinem Wissen über sie als ihr Vorgesetzter im Orden und meinem Wissen über sie als ihr Beichtvater unterscheiden.«
    »Warum?« fragte Brunetti, obwohl er es wußte.
    »Weil ich mich einer schweren Sünde schuldig machen würde, wenn ich Ihnen etwas weitersagte, was sie mir im Schutz des Beichtgeheimnisses anvertraut hat.«
    »Aber was Sie als ihr Ordensvorgesetzter wissen, können Sie mir das sagen?«
    »Ja, gewiß. Vor allem wenn ich ihr damit irgendwie helfen kann.« Er nahm die Hände wieder auseinander, und Brunetti sah ihn nach den Perlen des Rosenkranzes tasten, der an seinem Gürtel hing. »Was möchten Sie denn wissen?« fragte der Pater.
    »Ist sie ehrlich?«
    Diesmal machte der Pater keinen Versuch, seine Überraschung zu verbergen. »Ehrlich? Meinen Sie, ob sie

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