Brunetti 06 - Sanft entschlafen
auszufüllen. »Natürlich ist Ihnen klar, daß dies nicht den geringsten Einfluß auf die Behandlung hat, die unsere Patienten erhalten. Wir müssen es nur wegen der Abrechnungen wissen.«
Brunetti nickte lächelnd, als glaubte er ihr aufs Wort.
»Und der Gesundheitszustand Ihrer Mutter?«
»Gut, gut.«
Sie schien an dieser Antwort weniger interessiert zu sein als an der vorherigen.
»Wann wollten Sie und Ihr Bruder sie denn eventuell hierher verlegen?«
»Wir dachten, noch vor Ende dieses Frühjahrs.«
Dottoressa Alberti lächelte und nickte bei diesen Worten.
»Natürlich«, fügte Brunetti hinzu, »möchte ich das nicht gern tun, bevor ich eine gewisse Vorstellung von dieser Einrichtung hier habe.«
»Selbstverständlich«, sagte Dottoressa Alberti und griff nach einer dünnen Mappe, die links auf ihrem Schreibtisch lag. »Ich habe alle Informationen hier, Signor Brunetti. Diese Mappe enthält ein Verzeichnis aller Leistungen, die unsere Patienten in Anspruch nehmen können, eine Liste unseres ärztlichen Personals, eine kurze Geschichte des Hauses sowie des Ordens vom Heiligen Sakrament, und schließlich eine Aufzählung unserer Gönner.«
»Gönner?« fragte Brunetti höflich.
»Dabei handelt es sich um Mitglieder der Gesellschaft, die sich in der Lage gesehen haben. Gutes über uns zu sagen, und uns gestatten, uns auf sie zu berufen. Gewissermaßen als Empfehlung für die hohe Qualität der Betreuung, die wir unseren Patienten zukommen lassen.«
»Natürlich. Verstehe«, sagte Brunetti mit bedächtigem Kopfnicken. »Stehen Ihre Preise auch darin?«
Dottoressa Alberti ließ sich nicht anmerken, ob sie diese Frage in irgendeiner Weise anstößig oder geschmacklos fand, sie bejahte nur mit einem Nicken.
»Dürfte ich mich hier vielleicht ein wenig umsehen, Dottoressa? Damit ich mir ein Bild machen kann, ob unsere Mutter sich hier wohl fühlen würde?« Bei diesen Worten wandte Brunetti das Gesicht ab, als ob er sich für die Bücher an der Wand interessierte. Dottoressa Alberti sollte ihm die doppelte Lüge nicht ansehen: Seine Mutter würde nie in dieses Haus kommen, sowenig wie sie sich irgendwo je wieder wohl fühlen könnte.
»Es spricht nichts dagegen, daß eine der Schwestern Sie durchs Haus führt, Signor Brunetti, oder wenigstens durch einen Teil.«
»Das wäre sehr freundlich, Dottoressa«, sagte Brunetti, wobei er sich mit einem liebenswürdigen Lächeln erhob.
Sie drückte einen Knopf auf ihrem Schreibtisch, und kurz darauf trat die junge Nonne von vorhin, ohne anzuklopfen, ein.
»Sie wünschen, Dottoressa?« fragte sie.
»Schwester Clara, ich möchte Sie bitten, Signor Brunetti den Aufenthaltsraum und die Küche zu zeigen, vielleicht auch eines der Privatzimmer.«
»Eine Bitte hätte ich noch, Dottoressa«, sagte Brunetti, als wäre ihm das eben erst eingefallen.
»Ja?«
»Meine Mutter ist sehr religiös, sehr fromm. Wenn es irgendwie geht, möchte ich gern auch noch mit der Mutter Oberin sprechen.« Als er sah, daß sie etwas einwenden wollte, sprach er rasch weiter: »Nicht, daß ich irgendwelche Bedenken hätte; ich habe über San Leonardo nur Gutes gehört. Aber ich habe nun einmal meiner Mutter versprochen, mit der Oberin zu reden. Und ich brächte es nie übers Herz, sie anzulügen.« Er setzte sein jungenhaftes Lächeln auf, das an ihr Verständnis für seine Lage appellieren sollte.
»Eigentlich ist das nicht üblich«, begann sie. Dann wandte sie sich an Schwester Clara: »Glauben Sie, daß es geht, Suora?«
Die Nonne nickte und sagte: »Ich habe die Mutter Oberin eben aus der Kapelle kommen sehen.«
»In dem Fall«, sagte Dottoressa Alberti, wieder an Brunetti gewandt, »könnten Sie vielleicht ein paar Worte mit ihr sprechen. Schwester, würden Sie Signor Brunetti zu ihr führen, nachdem er Signora Viottis Zimmer gesehen hat?«
Die junge Nonne nickte und ging wieder zur Tür. Brunetti trat an den Schreibtisch und streckte die Hand aus. »Sie haben mir sehr geholfen, Dottoressa. Ich danke Ihnen.«
Sie stand auf, um seine Hand zu nehmen, und wieder fühlte er sich beim Händedruck leicht abgestoßen. »Gern geschehen, Signore. Und wenn Sie noch irgendwelche weiteren Fragen haben, zögern Sie nicht, mich anzurufen.« Damit nahm sie die Mappe und reichte sie Brunetti.
»Ach ja«, sagte er und nahm sie mit dankbarem Lächeln, ehe er sich zur Tür wandte. Dort drehte er sich noch einmal um und dankte ihr erneut, bevor er Schwester Clara nach draußen folgte.
Im Hof
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