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Brunetti 06 - Sanft entschlafen

Brunetti 06 - Sanft entschlafen

Titel: Brunetti 06 - Sanft entschlafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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Hofseite.
    Während sie den sonnenbeschienenen Hof überquerten, sah Brunetti sie im Schatten des Balkons, der an zwei Seiten des Gebäudes entlanglief: Aufgereiht wie ein bildlich dargestelltes memento mori saßen sie da, sechs oder sieben reglose Gestalten in Rollstühlen, die starren Augen so hohl wie an griechischen Statuen. Er ging unmittelbar vor ihnen vorbei, aber keiner von den alten Leuten nahm es zur Kenntnis.
    Drinnen im Haus waren alle Wände in einem heiteren Hellgelb gestrichen, und alle hatten Handläufe in Hüfthöhe. Die Böden waren blitzsauber bis auf den einen oder anderen verräterischen schwarzen Strich, der von den Gummirädern der Rollstühle stammen mußte.
    »Bitte hier entlang«, sagte die junge Nonne, als sie nach links in einen Korridor abbog. Brunetti, der ihr folgte, konnte dabei nur mit einem kurzen Blick feststellen, daß der Speisesaal dieses ehemaligen Palazzo samt Fresken und Kronleuchtern noch immer seinem ursprünglichen Zweck diente, jetzt allerdings mit Resopaltischen und Plastikstühlen.
    Die Nonne blieb vor einer Tür stehen, klopfte einmal, öffnete, als sie von drinnen etwas hörte, und ließ Brunetti ein.
    Das Büro, in das Brunetti trat, hatte vier hohe Fenster zum Hof. Das einfallende Licht wurde von den kleinen Glimmereinschlüssen im venezianischen Fußboden zurückgeworfen und füllte den Raum mit einem magischen Schimmer. Da der einzige Schreibtisch vor den Fenstern stand, konnte Brunetti die dahinter sitzende Gestalt erst genauer erkennen, als seine Augen sich an das auf ihn einflutende Licht gewöhnt hatten: Er sah die Silhouette einer korpulenten Frau in einer Art losem dunklem Kleid.
    »Dottoressa Alberti?« fragte er und hielt sich leicht rechts, während er auf sie zuging, um in den Schatten zu kommen, den ein schmales Stück Wand zwischen zwei Fenstern warf.
    »Signor Brunetti?« Die Frau erhob sich und kam hinter ihrem Schreibtisch hervor. Sein erster Eindruck hatte ihn nicht getrogen: Sie war eine kräftige Frau von etwa seiner Größe und wohl auch etwa von seinem Gewicht, das sich bei ihr hauptsächlich um Schultern und Hüften verteilte. Sie hatte das runde, blühende Gesicht einer Frau, die gern aß und trank, mitten darin saß eine überraschend kleine, nach oben gebogene Nase. Ihre Augen waren bernsteinfarben und standen weit auseinander, gewiß das Hübscheste an ihr. Das lose Kleid war lediglich ein gelungener Versuch, die Körperfülle mit dunkler Wolle zu kaschieren.
    Er nahm ihre ausgestreckte Hand und war überrascht, daß sie sich wie bei so manchen Frauen, wenn sie einem die Hand geben, mehr wie ein toter Hamster anfühlte. »Sehr erfreut, Sie kennenzulernen, Dottoressa, und vielen Dank, daß Sie sich die Zeit für ein Gespräch mit mir nehmen.«
    »Das gehört zu unserem Dienst an der Gemeinschaft«, antwortete sie schlicht, und Brunetti brauchte einen Augenblick, um zu begreifen, daß sie es vollkommen ernst meinte.
    Nachdem er, vor ihrem Schreibtisch sitzend, die angebotene Tasse Kaffee ausgeschlagen hatte, erklärte er ihr, daß er und sein Bruder, wie er ihrer Sekretärin schon am Telefon gesagt habe, mit dem Gedanken spielten, ihre Mutter nach San Leonardo zu verlegen, aber sie wollten sich vor einem solchen Schritt doch ein wenig über diese Einrichtung informieren.
    »San Leonardo wurde vor sechs Jahren eröffnet, Signor Brunetti, vom Patriarchen gesegnet und mit Personal beschickt durch die ausgezeichneten Schwestern des Ordens vom Heiligen Sakrament.« Brunetti nickte, wie um anzudeuten, daß er das Habit der Nonne erkannt habe, die ihn hergeführt hatte.
    »Wir sind eine gemischte Einrichtung«, sagte sie.
    Bevor sie weitersprechen konnte, unterbrach Brunetti: »Entschuldigen Sie, Dottoressa, was darf ich darunter verstehen?«
    »Es bedeutet, daß wir Patienten hier haben, deren Pflegekosten vom öffentlichen Gesundheitssystem getragen werden. Wir haben aber auch Privatpatienten. Könnten Sie mir sagen, zu welcher Kategorie Ihre Mutter gehören würde?«
    Lange Jahre in den Korridoren der Bürokratie, wo er für seine Mutter das Recht auf die Behandlung erkämpfen mußte, die ihr nach den vierzig Arbeitsjahren seines Vaters zustand, hatten Brunetti nur zu deutlich klargemacht, daß sie unter das öffentliche Gesundheitssystem fiel, dennoch lächelte er Dottoressa Alberti an: »Sie wäre natürlich Privatpatientin.«
    Ob dieser Mitteilung schien Dottoressa Alberti förmlich aufzugehen und noch mehr Raum hinter ihrem Schreibtisch

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