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Brunetti 06 - Sanft entschlafen

Brunetti 06 - Sanft entschlafen

Titel: Brunetti 06 - Sanft entschlafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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Zimmer Geld stehlen wollte.«
    »Gütiger Himmel«, rief Brunetti, »das ist ja entsetzlich.«
    »Als er hinzukam, hat sie ihn zu Boden gestoßen und ihm das Handgelenk gebrochen, und dann ist sie fort, einfach verschwunden.«
    »Wurde die Polizei verständigt?«
    »Nein, ich glaube nicht. Niemand wollte einen Skandal.«
    »Wann war das?«
    »Vor ein paar Wochen.«
    »Na, ich finde aber, da sollte die Polizei verständigt werden. So ein Mensch darf doch nicht frei herumlaufen. Sich das Vertrauen und die Hinfälligkeit alter Leute zunutze zu machen. Das ist abscheulich.« Schwester Clara sagte darauf nichts. Sie rührte ihn durch einen schmalen Flur, wandte sich nach rechts und blieb vor einer schweren Holztür stehen. Sie klopfte einmal, hörte von drinnen eine Stimme, öffnete die Tür und ging hinein.
    Kurz darauf kam sie wieder heraus und sagte: »Die Mutter Oberin empfängt Sie.«
    Brunetti bedankte sich und trat mit einem »Permesso?« ein. Dann schloß er die Tür hinter sich und ließ, während er sich wieder umdrehte, den Blick rundum schweifen.
    Das Zimmer war so gut wie leer, bis auf ein riesiges, geschnitztes Kruzifix an der hintersten Wand. Daneben stand im Habit des Ordens eine hochgewachsene Frau, die aussah, als habe sie sich gerade von dem Betschemel vor dem Kruzifix erhoben. Sie trug auf ihrem ausladenden Busen eine kleinere Ausführung des Kruzifixes, und der Blick, mit dem sie Brunetti musterte, verriet weder Neugier noch Begeisterung.
    »Ja?« fragte sie, als hätte er sie bei einem besonders interessante Gespräch mit dem Herrn im Lendentuch unterbrochen.
    »Ich hatte um eine Unterredung mit der Mutter Oberin gebeten.«
    »Ich bin die Oberin dieses Klosters. Was wünschen Sie?«
    »Ich möchte mich gern über Ihren Orden informieren.«
    »Zu welchem Zweck?« fragte sie.
    »Um Ihre heilige Mission besser zu verstehen«, antwortete Brunetti in völlig neutralem Ton.
    Sie entfernte sich von dem Kruzifix, ließ sich auf einem Stuhl links neben einem leeren Kamin nieder und zeigte dann auf einen kleineren Stuhl zu ihrer Linken. Brunetti setzte sich so, daß er sie ansah.
    Die Oberin sagte lange nichts, eine Taktik, die Brunetti gut kannte, denn gewöhnlich brachte man den anderen damit zum Reden, oft zu unüberlegtem Reden. Er saß nur da und betrachtete ihr Gesicht. In ihren dunklen Augen funkelte Intelligenz, und die schmale Nase verriet entweder die Aristokratin oder die Asketin.
    »Wer sind Sie?« fragte sie.
    »Commissano Guido Brunetti.«
    »Von der Polizei?«
    Er nickte.
    »Es kommt nicht oft vor, daß die Polizei ein Kloster besucht«, meinte sie endlich.
    »Ich würde sagen, das hängt davon ab, was in dem Kloster vorgeht.«
    »Und was soll das heißen?«
    »Genau das, was ich sage. Daß ich hier bin, hat mit dem zu tun, was sich unter Mitgliedern Ihres Ordens möglicherweise abspielt.«
    »Zum Beispiel was?« fragte sie spöttisch.
    »Zum Beispiel verleumderische üble Nachrede und Nichtanzeige einer Straftat, um nur das zu nennen, was ich selbst erlebt habe und bezeugen kann.«
    »Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden«, sagte sie.
    Brunetti glaubte es ihr. »Eine Angehörige Ihres Ordens hat mir heute gesagt, daß Maria Testa, früher Suor Immacolata und Mitglied Ihres Ordens, aus diesem ausgeschlossen wurde, weil sie versucht habe, einem Patienten Geld zu stehlen; außerdem wurde mir gesagt, daß sie in Ausführung dieser Tat das Opfer zu Boden gestoßen und ihm das Handgelenk gebrochen habe.« Brunetti wartete, ob sie darauf etwas sagen würde, doch als nichts kam, fuhr er fort: »Wenn diese Tat geschehen ist, dann war sie eine strafbare Handlung, und eine weitere strafbare Handlung war die Nichtanzeige der ursprünglichen Straftat bei der Polizei. Sollte die Tat aber gar nicht geschehen sein, so hätte die Person, die mir davon berichtet hat, sich der üblen Nachrede schuldig gemacht.«
    »Hat Schwester Clara Ihnen das erzählt?« fragte sie.
    »Das spielt keine Rolle. Entscheidend ist, daß die Bezichtigung einen unter den Angehörigen Ihres Ordens allgemein verbreiteten Glauben wiederzugeben scheint.« Brunetti schwieg kurz und fügte dann hinzu: »Oder die Wahrheit.«
    »Es ist nicht die Wahrheit«, sagte sie.
    »Woher dann dieses Gerücht?«
    Sie lächelte zum erstenmal, aber ein besonders schöner Anblick war das nicht. »Sie wissen doch, wie Frauen sind, sie verbreiten Gerüchte, und das vor allem übereinander.« Brunetti, der das immer für eine eher männliche Eigenschaft

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