Brunetti 06 - Sanft entschlafen
erklärte Messini. »Sie sind Schwesternhelferinnen.«
»Und da sie einem religiösen Orden angehören, nehme ich an, daß Sie keine Steuern und Sozialabgaben für sie abführen müssen.«
»Commissario«, sagte Messini, in dessen Stimme sich zum erstenmal Zorn einschlich, »mir scheint. Sie wissen das schon alles, weshalb ich nicht verstehe, daß Sie mich extra hierherbestellt haben, um sich diese Fragen beantworten zu lassen. Und sollten Sie vorhaben, in dieser Art fortzufahren, hielte ich es außerdem für besser, wenn mein Anwalt zugegen wäre.«
»Ich habe nur noch eine weitere Frage, Dottore. Und ich versichere Ihnen, daß für eine Hinzuziehung Ihres Anwalts keinerlei Notwendigkeit besteht. Ich bin weder von der Guardia di Finanza noch von der Guardia di Frontiera. Wen Sie einstellen und wie wenig Sie bezahlen, ist einzig Ihre Sache.«
»Dann fragen Sie.«
»Wie viele Ihrer Patienten haben schon Ihnen oder dem Pflegeheim Geld vermacht?«
Obwohl Messini von der Frage überrascht zu sein schien, beantwortete er sie schnell. »Drei, glaube ich, und jedesmal habe ich das Erbe zurückgewiesen. Ich versuche derartigem einen Riegel vorzuschieben. Die wenigen Male, die ich erfahren habe, daß jemand so etwas vorhatte, habe ich mit den Angehörigen gesprochen und sie gebeten, den Betreffenden möglichst davon abzubringen.«
»Das ist sehr großzügig von Ihnen, Dottore. Man könnte es sogar großherzig nennen.«
Messini war der Spielchen müde, weshalb er jetzt kein Blatt mehr vor den Mund nahm. »Wer so etwas täte, wäre ein Trottel.« Er ließ seine Zigarette auf den Boden fallen und trat sie aus. »Überlegen Sie mal, wie das aussähe. Wenn so etwas bekannt würde, kämen die Leute in Scharen angerückt, um ihre Angehörigen bei uns herauszuholen und woanders unterzubringen.«
»Was ist in den Fällen, in denen Sie die Erbschaft ausgeschlagen haben, aus dem Geld geworden?« »Ich habe keine Ahnung.«
»Könnte es an jemand anderen im Pflegeheim gegangen sein?«
»Nicht an meine Leute. Zumindest nicht an die weltlichen. Es wäre ein Grund zur fristlosen Entlassung.«
»Könnte es an einen von den Ordensleuten geflossen sein?«
»Die haben ein Armutsgelübde abgelegt. Zumindest die Frauen.«
»Verstehe«, sagte Brunetti. »Könnten Sie mir einen von denen nennen, die Sie davon abgebracht haben? Beziehungsweise einen Angehörigen?«
»Was haben Sie vor?« »Dort anzurufen.« »Wann?«
»Sowie Sie dieses Zimmer verlassen, Dottore. Bevor Sie das nächste Telefon erreichen.«
Messini gab sich gar nicht erst empört. »Caterina Lombardi. Ihre Familie wohnt irgendwo in Mestre. Ihr Sohn heißt Sebastiano.«
Brunetti notierte sich das. Dann sah er auf und sagte: »Ich glaube, das ist alles, Dottore. Ich danke Ihnen, daß Sie sich die Zeit für mich genommen haben.«
Messini stand auf, aber er gab Brunetti nicht die Hand. Wortlos ging er zur Tür und verließ das Zimmer. Er knallte die Tür aber nicht hinter sich zu.
Noch bevor Messini die Questura verlassen und womöglich sein Handy benutzen konnte, hatte Brunetti schon mit der Frau von Sebastiane Lombardi gesprochen, die ihm bestätigte, daß Dottor Messini ihnen nahegelegt hatte, ihre Schwiegermutter von einer Testamentsänderung zugunsten des Pflegeheims abzubringen. Bevor sie auflegte, lobte sie Dottor Messini noch in den höchsten Tönen und sprach von seiner menschlichen Wärme und liebenden Sorge für alle seine Patienten. Brunetti schloß sich dem ebenso überschwenglich wie scheinheilig an. Auf diesem Akkord endete das Gespräch.
17
B runetti beschloß, den Rest des Nachmittags in der Biblioteca Marciana zu verbringen, aber er verließ die Questura, ohne jemandem zu sagen, wohin er ging. Vor seinem Juraexamen an der Universität Padua hatte er drei Jahre lang Geschichte an der Ca' Foscari studiert und war dort zu einem ganz brauchbaren Rechercheur geworden, der sich zwischen den vielen Bänden der Marciana ebenso zurechtfand wie in den verschlungenen Gängen des Archivio di Stato.
Als er die Riva degli Schiavoni hinaufging, kam von fern die von Sansovino gebaute Bibliothek in Sicht, und wie immer erfreute ihre architektonische Ungebärdigkeit sein Herz. Die großen Baumeister der Serenissima hatten nur Menschenkraft zur Verfügung gehabt: Flöße, Seile und Flaschenzüge; und doch hatten sie ein Wunder wie dieses zu erschaffen vermocht. Er dachte an so manches scheußliche Bauwerk, mit dem die heutigen Venezianer ihre Stadt verschandelt
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