Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brunetti 06 - Sanft entschlafen

Brunetti 06 - Sanft entschlafen

Titel: Brunetti 06 - Sanft entschlafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
Vom Netzwerk:
anzuklopfen, öffnete Brunetti die Tür und ging ins Zimmer, wo er instinktiv neben die noch zugehende Tür trat und mit einem schnellen Blick den ganzen Raum erfaßte.
    Auf dem Bett lag eine zugedeckte Gestalt; Schläuche führten zu Plastikflaschen über und unter ihr. Der dicke Verband war noch um ihre Schulter, ebenfalls um ihren Kopf. Aber der Mensch, den Brunetti sah, als er ans Bett trat, schien verändert: Die Nase war zu einem dünnen Schnabel verkümmert, die Augen waren tiefer in den Schädel gesunken, der Körper war unter den Decken kaum noch auszumachen, so dünn war sie in den paar Tagen geworden.
    Brunetti betrachtete, wie schon letztes Mal, ihr Gesicht, hoffte etwas darin lesen zu können. Sie atmete langsam und machte zwischen den Atemzügen so lange Pausen, daß er jedesmal fürchtete, der nächste könne ganz ausbleiben.
    Im Zimmer sah er keine Blumen, keine Bücher, kein Zeichen, daß hier ein Mensch lag. Er fand das erst sonderbar, dann ging ihm auf, wie traurig es war. Sie war so eine schöne Frau in der Morgenröte ihres Lebens, jedoch an ein Krankenbett gefesselt und nur noch zum Atmen imstande, und nichts deutete darauf hin, daß irgend jemand auf der Welt davon wußte oder daß auch nur eine einzige Menschenseele bei dem Gedanken litt, die Morgenröte werde nie mehr heraufziehen.
    Alvise saß, in seine Lektüre vertieft, vor dem Zimmer und blickte nicht einmal auf, als Brunetti herauskam.
    »Alvise«, sagte Brunetti.
    Gedankenabwesend hob er den Kopf, erkannte Brunetti, sprang sofort auf und salutierte, den Comic noch in der Hand. »Commissario?«
    »Wo waren Sie?«
    »Ich bin dauernd eingeschlafen, da bin ich auf einen Kaffee nach unten gegangen. Nur damit ich nicht wirklich einschlief und jemand ins Zimmer gekonnt hätte.«
    »Und solange Sie weg waren, Alvise? Haben Sie nicht daran gedacht, daß in Ihrer Abwesenheit jemand hätte hineingehen können?«
    Wäre er der tapfere Cortez gewesen, der stumm auf einem Gipfel Dariens ausharrte, Alvise hätte über diese abwegige Vorstellung nicht erstaunter sein können. »Aber die hätten dazu doch wissen müssen, wann ich weg war.«
    Brunetti sagte nichts.
    »Ist es nicht so, Commissario?«
    »Wer hat Sie hierher eingeteilt, Alvise?« fragte Brunetti.
    »In der Questura hängt ein Plan, Commissario; wir kommen abwechselnd her.«
    »Wann werden Sie abgelöst?«
    Alvise warf seinen Comic auf den Stuhl und sah auf die Uhr. »Um sechs.«
    »Und wer löst Sie ab?«
    »Das weiß ich nicht. Ich gucke immer nur, wann ich selbst dran bin.«
    »Ich möchte, daß Sie diesen Platz nicht wieder verlassen, bevor Ihre Ablösung da ist.«
    »Ja, Commissario. Ich meine, nein.«
    »Alvise«, sagte Brunetti mit vorgerecktem Kopf, wobei er Alvises Gesicht so nah kam, daß er den Kaffee und den Grappa in seinem Atem riechen konnte, »wenn ich wieder herkomme und Sie hier sitzen oder lesen sehe, oder Sie befinden sich nicht vor dieser Tür, dann sind Sie schneller aus dem Polizeidienst geflogen, als Sie es Ihrem Gewerkschaftsvertreter erklären können.« Alvise öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, aber Brunetti schnitt ihm das Wort ab. »Noch ein Ton, Alvise, ein einziger, und Sie sind erledigt.« Er machte kehrt und ging. Er sah den Beamten weder salutieren, noch hörte er sein angstvoll geflüstertes: »Ja, Commissario.«
    Brunetti wartete bis nach dem Abendessen, bevor er Paola erzählte, daß er im Zuge seiner Ermittlungen jetzt auf Opera Pia gestoßen sei. Das Zögern hatte nichts mit Bedenken hinsichtlich ihrer Diskretion zu tun, mehr mit Furcht vor ihrer unausweichlich explosiven Reaktion auf diesen Namen. Er erlebte sie lange nach dem Essen, als Raffi schon in seinem Zimmer verschwunden war, um seine Griechisch-Hausaufgaben zu machen, und Chiara in ihrem, um noch zu lesen, aber die Verzögerung dämpfte nicht das Feuerwerk.
    »Opera Pia? Opera Pia?« krachten die ersten Böller durchs Wohnzimmer, wo sie beide saßen und sie ihm einen Knopf an ein Hemd nähte, während er auf dem Sofa lümmelte und die Beine auf dem niedrigen Tischchen vor ihm übereinandergeschlagen hatte. »Opera Pia?« schrie sie noch einmal, denn es hätte ja sein können, daß eines der Kinder es noch nicht gehört hatte. »Opera Pia hat die Finger in diesen Pflegeheimen? Kein Wunder, daß die alten Leute da sterben; wahrscheinlich bringen die sie um, damit sie von ihrem Geld wieder ein paar wilde Heiden zur Heiligen Mutter Kirche bekehren können.« Brunetti hatte sich in den

Weitere Kostenlose Bücher