Brunetti 07 - Nobiltà
Fühlst du dich nicht wohl? Wird dir schwindlig?« Man hörte Sergios Besorgnis, und noch etwas anderes.
»Was ist los?«
»Wann hast du diese Untersuchungen machen lassen?« wollte Sergio wissen.
»Nein, nein, das bin nicht ich. Jemand anderes.«
»Ach so. Gut.« Sergio legte eine kleine Denkpause ein, dann fragte er: »Was noch?«
»Was ist denn nun mit diesen tausend Leukozyten?« bohrte Brunetti weiter, durch Sergios Fragen beunruhigt.
»Das kann ich noch nicht sagen. Jedenfalls nicht, bevor ich nicht auch den Rest kenne.«
Brunetti las ihm die übrigen Untersuchungsergebnisse vor, die medizinischen Fachausdrücke auf der Unken Seite, und die Zahlen rechts daneben. »Das war alles«, sagte er schließlich.
»Nichts weiter?«
»Hier unten steht noch mit der Hand geschrieben etwas von eingeschränkter Milzfunktion. Und...« Brunetti sah sich das Gekritzel des Arztes genauer an.
»Das sieht aus wie ›Hyalin‹ und noch so etwas wie ›Membran‹.«
Nach langem Schweigen fragte Sergio: »Wie alt war dieser Mensch?«
»Einundzwanzig«, antwortete Brunetti, und als ihm aufging, was Sergio da gesagt hatte, fragte er: »Warum sagst du ›war‹?«
»Weil mit solchen Werten keiner lange überlebt«
»Mit welchen Werten?« wollte Brunetti wissen.
Aber statt zu antworten fragte Sergio: »Hat er geraucht?«
Brunetti erinnerte sich an Francesca Salviatis Bemerkung, dass Roberto mit seiner Abneigung gegen das Rauchen schlimmer gewesen sei als die Amerikaner. »Nein.«
»Getrunken?«
»Jeder trinkt, Sergio.«
Sergios Stimme klang ein zornig. »Stell dich nicht dümmer, als du bist, Guido. Du weißt genau, was ich meine. Hat er viel getrunken?«
»Wahrscheinlich mehr als man normal nennen würde:«
»Krankheiten?«
»Nicht dass ich wüsste. Er war völlig gesund, oder sagen wir recht gesund, bis ungefähr zwei Wochen vor seinem Tod.«
»Woran ist er gestorben?«
»Er wurde erschossen.«
»Lebte er noch, als er erschossen wurde?« fragte Sergio.
»Natür...« begann Brunetti und brach abrupt ab.
Das wusste er nicht. »Wir haben es bisher angenommen.«
»Das würde ich nachprüfen«, sagte Sergio.
»Ich glaube nicht, dass wir das können«, meinte Brunetti.
»Warum nicht? Ihr habt doch die Leiche, oder?«
»Es war nicht mehr viel übrig.«
»Der junge Lorenzoni?«
»Ja«, antwortete Brunetti, und in das immer länger werdende Schweigen hinein fragte er schließlich: »Was hat das denn nun alles zu bedeuten, ich meine diese ganzen Untersuchungsergebnisse, die ich dir vorgelesen habe?«
»Du weißt, dass ich kein Arzt bin«, begann Sergio, aber Brunetti unterbrach ihn.
»Wir sind nicht vor Gericht, Sergio. Ich will es nur für mich wissen. Also, was steckt dahinter?«
»Strahlenkrankheit, glaube ich«, sagte Sergio. Und als Brunetti nicht reagierte, erklärte er: »Die Milz. Sie kann nicht derart geschädigt gewesen sein, wenn keine organische Krankheit vorlag. Außerdem sind die Blutwerte erschreckend niedrig. Und die Lungenkapazität. War von der Lunge noch viel übrig?«
Brunetti erinnerte sich an die Worte des Arztes, die Lunge sehe aus wie die eines starken Rauchers, eines viel älteren Mannes, der jahrzehntelang geraucht habe. Damals hatte Brunetti das nicht in Frage gestellt oder über den Widerspruch nachgedacht, der zwischen dieser Feststellung und der Tatsache bestand, dass Roberte Nichtraucher war. Jetzt erklärte er das Sergio und fragte dann: »Was noch?«
»Das alles zusammen - Milz, Blut, Lunge.« »Bist du dir ganz sicher, Sergio?« fragte Brunetti, der ganz vergessen hatte, dass er mit seinem älteren Bruder sprach, der gerade im Triumph von einem internationalen Kongress über radioaktive Kontamination in und um Tschernobyl zurückgekommen war.
»Ja.«
Brunettis Gedanken waren weit weg von Venedig. Sie folgten der Spur, die Robertos Kreditkarte kreuz und quer durch Europa gezogen hatte. Osteuropa. In die Republiken der ehemaligen Sowjetunion, reich an Bodenschätzen und ebenso reich an Waffen, die von den hastig abziehenden Russen zurückgelassen worden waren, als sie sich vor dem Zusammenbruch ihres ehemaligen Reiches in Sicherheit brachten.
»Madre di Dio«, flüsterte Brunetti, erschüttert über seine eigene Schlussfolgerung »Was ist denn los, Guido?« fragte sein Bruder am anderen Ende.
»Wie transportiert man solches Zeug, Sergio?«
»Was für Zeug?«
»Radioaktives Material, oder wie man das nennt.«
»Das kommt darauf an.«
»Worauf?« »Wie viel es ist, und
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