Brunetti 07 - Nobiltà
Sohnes sein.
Brunetti hatte sich bei der Beurteilung von Menschen und ihren Motiven durchaus schon geirrt. Hatte er sich nicht eben erst von seinem Schwiegervater zu falschen Annahmen verleiten lassen? Wie vorschnell hatte er glauben wollen, dass seine eigene Frau unglücklich, seine eigene Ehe in Gefahr sei, wo doch die Lösung so nahe gelegen hatte und die Wahrheit in Paolas schlichter Liebeserklärung zu finden gewesen war.
Wie auch immer er die Tatsachen und Möglichkeiten von der einen Schale dieser schrecklichen Waage auf die andere schob, das Schwergewicht der Beweise landete immer auf Maurizios Seite. Und dennoch hatte Brunetti seine Zweifel.
Er musste daran denken, wie Paola ihn seit Jahren damit aufzog, dass er sich so ungern von alten Kleidungsstücken trennte, ob Jackett, Pullover oder auch nur ein Paar Socken, das er besonders bequem fand. Es hätte nichts mit Geld oder der Mühe zu tun, sich etwas Neues zu kaufen, sondern nur mit seiner Gewissheit, dass nichts Neues so bequem und vertraut sein könnte wie das Alte. Und seine derzeitige Lage gründete auf dem gleichen Widerstreben, das Vertraute zu Gunsten von etwas Neuem aufzugeben.
Er nahm seine Notizen und begab sich zu einem letzten Versuch hinunter zu Patta, doch das Gespräch verlief genau so, wie er es in sein Drehbuch geschrieben hätte: Patta wies unbesehen »die beleidigende, wahnhafte Unterstellung« zurück, dass der Conte in irgendeiner Weise in das Geschehene verwickelt sein könne. Patta ging nicht so weit, von Brunetti eine Entschuldigung bei Conte Lorenzoni zu verlangen; schließlich hatte Brunetti lediglich Überlegungen angestellt, aber schon diese Überlegungen beleidigten Pattas atavistische Gefühle derart, dass er seine Wut auf Brunetti nur mühsam beherrschte, allerdings nicht so weit unterdrückte, dass er Brunetti nicht wenigstens aus seinem Zimmer warf.
Oben steckte Brunetti die vier Seiten zu den restlichen Unterlagen und ließ die Mappe in der Schublade verschwinden, die er gewöhnlich herauszog, um seine Füße darauf zu legen. Er schob die Schublade mit dem Fuß zu und wandte seine Aufmerksamkeit einer neuen Akte zu, die ihm jemand auf den Tisch gelegt hatte, während er bei Patta war: Aus vier Booten waren die Motoren gestohlen worden, während ihre Besitzer auf der kleinen Insel Vignole in einer Trattoria beim Essen saßen.
Das Klingeln des Telefons bewahrte ihn davor, über die ganze Banalität dieses Falles nachdenken zu müssen.
»Ciao, Guido«, tönte die Stimme seines Bruders aus dem Hörer. »Ich wollte mich nur zurückmelden.«
»Aber wolltet ihr nicht noch länger bleiben?« fragte Brunetti.
Sergio lachte. »Doch, schon, aber die Neuseeländer sind gleich nach ihrem Vortrag abgereist, da habe ich beschlossen, auch zurück zu kommen.«
»Wie war es denn?«
»Wenn du versprichst, mich nicht auszulachen, sage ich, es war ein Triumph.«
Der richtige Zeitpunkt war wirklich alles.
Wäre dieser Anruf an einem anderen Nachmittag gekommen, oder sogar nachts um drei, wenn er Brunetti aus tiefstem Schlaf gerissen hätte, er würde sich mit Freuden den Bericht seines Bruders über die Konferenz in Rom angehört haben, hätte sich begeistert vom Inhalt und der Aufnahme seines Vertrags erzählen lassen.
Statt dessen starrte er, während Sergio von Röntgen und Restwerten sprach, auf die Seriennummern von vier Außenbordmotoren. Sergio sprach von zerstörten Lebern, und Brunetti war mit den Gedanken bei Pferdestärken zwischen fünf und fünfzehn. Sergio zitierte eine Frage, die jemand bezüglich der Milz gestellt hatte, und Brunetti las, dass nur einer der vier Motoren gegen Diebstahl versichert war, und auch der nur zum halben Wert.
»Guido, hörst du zu?« fragte Sergio.
»Aber ja, ja, natürlich höre ich zu«, beteuerte Brunetti unnötig heftig. »Ich finde das alles hochinteressant.«
Sergio lachte, widerstand aber der Versuchung, seinen Bruder zu einer Wiederholung der beiden letzten Sätze aufzufordern. Stau dessen fragte er. »Wie geht es Paola und den Kindern?«
»Gut, danke.«
»Ist Rafft noch mit diesem Mädchen befreundet?«
»Ja. Wir mögen sie alle sehr gern.«
»Bald wird Chiara an der Reihe sein.«
»Womit?« fragte Brunetti verständnislos.
»Sich einen Freund zu suchen.«
Richtig. Brunetti wusste nicht, was er darauf sagen sollte. In das Schweigen hinein sagte Sergio: »Ihr müsst uns dieser Tage mal besuchen kommen. Alle zusammen.«
Brunetti begann schon zu überlegen, wann er dafür
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