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Brunetti 07 - Nobiltà

Brunetti 07 - Nobiltà

Titel: Brunetti 07 - Nobiltà Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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Zeit habe, antwortete dann aber: »Gern, nur muss ich zuerst Paola und die Kinder fragen, was sie so vorhaben.«
    Sergios Stimme klang plötzlich ganz ernst, als er sagte: »Wer hätte das gedacht, Guido?«
    »Was?«
    »Dass wir unsere Frauen und Kinder fragen müssen, was sie vorhaben. Wir werden alt.«
    »Ja, wahrscheinlich«, meinte Brunetti. Außer Paola war Sergio der einzige, den er fragen konnte: »Stört dich das?«
    »Ich weiß nicht, ob es eine Rolle spielt, ob mich das stört oder nicht; wir können nichts dagegen tun. Aber warum so ernst heute?«
    Statt einer Antwort fragte Brunetti: »Hast du die Zeitungen gelesen?«
    »Ja, auf der Rückfahrt im Zug. Du meinst diese Lorenzoni-Geschichte?«
    »Ja.«
    »Dein Fall?«
    »Ja«, antwortete Brunetti, ohne näher darauf einzugehen.
    »Schrecklich. Die armen Leute. Erst der Sohn, und dann der Neffe. Schwer zu sagen, was schlimmer war.« Aber es war eindeutig, dass Sergio, eben aus Rom zurückgekehrt und noch ganz von seinem beruflichen
    Erfolg erfüllt, nicht über derlei Dinge reden wollte, weshalb Brunetti ihn unterbrach.
    »Also, ich rede mit Paola. Sie kann mit Maria Grazia etwas verabreden.«

25
    Zwiegesichtig wäre wahrscheinlich die passende Bezeichnung für die italienische Justiz oder - da dies ein verschwommener Begriff ist - für das Rechtssystem, das der italienische Staat zum Schutz seiner Bürger geschaffen hat. Viele haben den Eindruck, dass die Polizei immer dann, wenn sie nicht gerade Kriminelle vor ihre Richter bringt, ebendiese Richter verhaftet oder gegen sie ermittelt.
    Urteile sind schwer zu erlangen und werden oft in Berufungsverfahren wieder aufgehoben;
    Schwerverbrecher gehen durch Kuhhändel straffrei aus; Elternmörder bekommen Verehrerpost ins Gefängnis; hohe Staatsvertreter und Mafiosi tanzen Hand in Hand dem Ruin des Staates entgegen - dem Ruin des Staatsgedankens sogar. Doktor Bartolo hatte womöglich die italienischen Berufungsgerichte im Sinn, als er sang: »Qualche garbuglio si troverà.«
    An den folgenden drei Tagen hatte Brunetti, den ein Gefühl der Sinnlosigkeit all seines Tuns in finstere Depressionen stürzte, reichlich Zeit, sich Gedanken über die Natur des Rechts und - mit Ciceros Stimme stets im Ohr - über die Natur des sittlich Guten zu machen. Alles erschien ihm ohne jeden Sinn und Zweck.
    Wie der Troll in einer Geschichte, die er als Kind gelesen hatte, unter einer Brücke lauerte, so lauerte die Liste, die er aufgestellt hatte, in seiner Schreibtischschublade, stumm, aber nicht vergessen.
    Am Montag ging er zu Maurizios Beerdigung, wo die Horden kamerabewehrter Leichenfledderer ihn noch mehr anwiderten als der Gedanke an das, was in dem schweren Sarg lag, dessen Fugen gegen die Feuchtigkeit in der Familiengruft der Lorenzonis mit Blei versiegelt waren. Die Contessa war nicht da, aber der Conte ging mit roten Augen, gestützt auf den Arm eines jüngeren Mannes, hinter dem Sarg des Jungen her, den er getötet hatte, Sein Auftreten und seine Haltung lösten in Italien eine Welle sentimentaler Bewunderung aus, wie es sie nicht mehr gegeben hatte, seit die Eltern eines ermordeten amerikanischen Jungen dessen Organe gespendet hatten, damit Kinder in Italien, dem Land seines Mörders, weiterleben konnten. Brunetti beschloss, keine Zeitungen mehr zu lesen, allerdings erst, nachdem sie berichtet hatten, dass der Untersuchungsrichter Maurizios Tod zu einem Fall von gerechtfertigter Notwehr erklärt hatte.
    Wie einer, der Zahnschmerzen hat und den befallenen Zahn ständig mit der Zunge betasten muss, widmete Brunetti sich den gestohlenen Motoren. In einer Welt ohne Sinn waren Motoren so wichtig wie das Leben, warum also nicht nach ihnen suchen? Leider entpuppte ihre Auffindung sich als viel zu einfach - man entdeckte sie bald im Haus eines Fischers auf Burano, dessen Nachbarn, als sie ihn einen nach dem anderen von seinem Boot ins Haus tragen sahen, so misstrauisch wurden, dass sie die Polizei verständigten.
    Am Ende des Tages nach diesem Triumph erschien Signorina Elettra an der Tür zu seinem Zimmer. »Buon giorno, Dottore«, sagte sie, das Gesicht verdeckt und die Stimme gedämpft von einem riesigen Gladiolenstrauß, den sie im Arm trug.
    »Was ist denn das, Signorina?« fragte Brunetti und stand auf, um sie an dem Stuhl vor seinem Schreibtisch vorbei zu dirigieren.
    »Ein Extrastrauß«, antwortete sie. »Haben Sie eine Vase?« Sie legte die Blumen auf seinen Schreibtisch, daneben ein Bündel Papiere, die sowohl unter

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