Brunetti 08 - In Sachen Signora Brunetti
klirrten und ein Glas Rotwein umfiel. Er sah den Wein noch in der Tischdecke versickern und erinnerte sich, wie er sich darüber gewundert hatte, daß dieses Thema sie so in Rage bringen konnte. Denn er hatte genau wie jetzt - und was immer sie getan hatte, war zweifellos von derselben Wut diktiert - nicht begriffen, wie sie sich über eine so weit entfernte Ungerechtigkeit derart aufregen konnte. In den Jahrzehnten ihrer Ehe waren ihre Zornesausbrüche ihm vertraut geworden, und er hatte gelernt, daß behördliche, politische oder soziale Ungerechtigkeiten sie wahnsinnig machen und in blindwütige Empörung versetzen konnten, aber er hatte nie gelernt, halbwegs zutreffend vorauszusagen, was ihr jeweils diesen letzten Anstoß gab, der sie über die Grenze trieb, ab der es kein Halten mehr gab.
Während er über den Campo Santa Maria Formosa ging, fiel ihm einiges von dem wieder ein, was sie gesagt hatte, taub für seinen Einwand, daß die Kinder zuhören konnten, blind für sein Erstaunen über ihre Reaktion. »Das kommt nur daher, daß du ein Mann bist«, hatte sie ihn wütend angezischt. Und später: »Es muß einfach dafür gesorgt werden, daß es sie mehr kostet, es zu tun, als es zu lassen. Vorher wird sich nichts ändern.« Und schließlich: »Es ist mir egal, ob das erlaubt ist. Es ist unrecht, und irgend jemand muß etwas dagegen tun.«
Wie so oft, hatte Brunetti weder ihre Wut ernst genommen noch ihr Versprechen - oder war es eine Drohung gewesen? -, selbst etwas zu unternehmen. Und nun, drei Tage später, befand er sich auf dem Weg zur Questura, wo Paola war, aufgegriffen bei einer Tat, die sie ihm angekündigt hatte.
Derselbe junge Polizist öffnete Brunetti die Tür und salutierte, als er an ihm vorbeiging. Brunetti hatte keinen Blick für ihn, sondern ging schnurstracks zur Treppe und rannte, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, ins Zimmer des Diensthabenden hinauf, wo er Ruberti an seinem Schreibtisch antraf, ihm gegenüber eine schweigende Paola.
Ruberti stand auf und salutierte, als sein Vorgesetzter eintrat.
Brunetti nickte. Er sah zu Paola, die seinen Blick erwiderte, aber er hatte ihr nichts zu sagen.
Er bedeutete Ruberti, wieder Platz zu nehmen, und als der Polizist saß, sagte Brunetti: »Berichten Sie mir, was vorgefallen ist.«
»Wir wurden vor einer Stunde gerufen, Commissario. Am Campo Manin war eine Alarmanlage ausgelöst worden. Bellini und ich sind hingegangen.«
»Zu Fuß?«
»Jawohl, Commissario.«
Als Ruberti nicht weitersprach, nickte Brunetti ihm ermunternd zu, worauf er fortfuhr: »Als wir hinkamen, war das Schaufenster eingeschlagen. Und die Alarmanlage brüllte wie verrückt.«
»Und wo war die Alarmanlage?« fragte Brunetti, obwohl er es schon wußte.
»Im hinteren Büro, Commissario.«
»Ja, aber in welchem Haus?«
»Im Reisebüro, Commissario.«
Ruberti sah Brunettis Gesicht und verstummte wieder, bis sein Vorgesetzter ihn aufforderte: »Weiter!«
»Ich bin hineingegangen, Commissario, und habe den Strom abgeschaltet. Damit die Alarmanlage aufhörte«, erklärte er unnötigerweise. »Als wir dann wieder herauskamen, saß auf dem Campo die Frau, als ob sie auf uns gewartet hätte, und wir haben sie gefragt, ob sie etwas gesehen hatte.« Ruberti blickte auf seinen Schreibtisch, dann zu Brunetti, dann zu Paola, und als beide nichts sagten, fuhr er fort: »Sie sagte, sie hätte gesehen, wer es war, und als ich sie um eine Beschreibung des Mannes bat, sagte sie, daß es eine Frau war.«
Wieder verstummte er und sah sie beide abwechselnd an, und wieder sagte keiner von ihnen etwas. »Als wir sie dann baten, uns die Frau zu beschreiben, hat sie sich selbst beschrieben, und als ich sie darauf aufmerksam machte, hat sie gesagt, sie hätte es getan. Ich meine, das Fenster eingeworfen. So war es.« Er dachte einen Augenblick nach und fügte dann hinzu: »Also, direkt gesagt hat sie es nicht, aber sie hat genickt, als ich fragte, ob sie es war.«
Brunetti setzte sich auf einen Stuhl rechts von Paola und legte die gefalteten Hände auf Rubertis Schreibtisch.
»Wo ist Bellini?« fragte er.
»Noch am Tatort, Commissario. Er wartet auf den Besitzer.«
»Wie lange schon?« wollte Brunetti wissen.
Ruberti warf einen Blick auf seine Uhr. »Seit einer guten halben Stunde.«
»Hat er ein Telefon?«
»Ja, Commissario.«
»Dann rufen Sie ihn an«, sagte Brunetti.
Ruberti zog den Apparat zu sich heran, aber bevor er noch zu wählen anfangen konnte, hörten sie Schritte auf
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