Brunetti 09 - Feine Freunde
erklärte er.
»War das nicht schon heute vormittag?« wandte Patta ein, ohne jedoch dabei das Lächeln zu vergessen.
»Doch, aber dann mußte ich heute nachmittag noch einmal weg, und zwar so plötzlich, daß ich keine Zeit mehr hatte, Ihnen Bescheid zu geben.«
»Haben Sie kein telefonino, Dottore?«
Brunetti, der diese Dinger nicht ausstehen konnte und sich, wie er sehr wohl wußte, aus einem maschinenstürmerischen Vorurteil heraus weigerte, so etwas mit sich herumzutragen, antwortete nur: »Ich hatte es nicht bei mir, Vice-Questore.«
Gern hätte er Patta nun gefragt, wozu er eigentlich hier war, aber Signorina Elettras Warnung ließ es ihm ratsam erscheinen, den Mund zu halten und ein nichtssagendes Gesicht zu machen, ganz als ob sie zwei Fremde wären, die auf denselben Zug warteten.
»Ich wollte etwas mit Ihnen besprechen, Commissario«, begann Patta. Er räusperte sich, dann fuhr er fort: »Es geht um. also, es handelt sich um etwas Privates.«
Brunetti gab sich alle Mühe, keine Miene zu verziehen und nur ein passives Interesse an dem zu zeigen, was er vernehmen sollte.
Patta drückte sich tief in die Sessellehne, streckte die Beine aus und schlug sie übereinander. Einen Augenblick betrachtete er versonnen den Glanz seiner Maßschuhe, nahm die Beine dann wieder voneinander, zog sie zurück und beugte den Oberkörper vor. In den wenigen Sekunden, die das alles dauerte, schien Patta vor Brunettis verwunderten Augen um Jahre zu altern.
»Es geht um meinen Sohn«, sagte Patta.
Brunetti wußte, daß Patta zwei Söhne hatte, Roberto und Salvatore. »Um welchen, Vice-Questore?«
»Roberto, il bambino.«
Il bambino mußte, wie Brunetti rasch nachrechnete, mindestens dreiundzwanzig Jahre alt sein. Nun gut - Chiara, seine eigene Tochter, war auch schon fünfzehn und trotzdem immer noch seine bambina, und wahrscheinlich würde sie das ewig bleiben. »Geht er nicht auf die Universität?«
»Doch. Er studiert Wirtschaftswissenschaften«, antwortete Patta, hielt aber wieder inne und starrte auf seine Füße. »Schon ein paar Jahre«, erklärte er, dann sah er wieder zu Brunetti auf.
Erneut mußte Brunetti sich alle Mühe geben, keine Miene zu verziehen. Einerseits wollte er nicht ungebührlich neugierig erscheinen, wenn es um ein innerfamiliäres Problem ging, aber er wollte auch nicht den Eindruck erwecken, als ob es ihn überhaupt nicht interessierte, was Patta ihm zu erzählen hatte. Also nickte er nur kurz, wie er es sonst bei furchtsamen Zeugen tat, um ihnen Mut zu machen.
»Kennen Sie jemanden in Jesolo?« fragte Patta zu Brunettis gelinder Verwirrung.
»Pardon, wie meinen Sie...?«
»In Jesolo, ob Sie bei der dortigen Polizei jemanden kennen.«
Brunetti dachte kurz nach. Er hatte Kontakte zu einigen Polizeidienststellen auf dem Festland, aber keine nach da draußen an der Adriaküste, zwischen Nachtclubs, Hotels und Discos, von wo allmorgendlich Touristenscharen, die am Lido von Jesolo Urlaub machten, per Boot über die Lagune kamen, um für einen Tag in Venedig einzufallen. Eine Studienkollegin war bei der Polizei in Grado, aber in der näher gelegenen Stadt kannte er niemanden. »Nein, ViceQuestore, da kenne ich keinen.«
Patta konnte seine Enttäuschung nicht verbergen. »Dabei hatte ich so darauf gehofft«, sagte er.
»Bedaure.« Brunetti wägte seine Möglichkeiten ab, während er den reglosen Patta beobachtete, der sich wieder dem Studium seiner Füße widmete. Er beschloß, es zu wagen. »Warum fragen Sie, Vice-Questore?«
Patta sah ihn an, wandte den Blick ab, sah wieder her. Endlich sagte er: »Die dortige Polizei hat mich gestern abend angerufen. Jemand, der für sie arbeitet - Sie verstehen schon...« Das hieß wohl, ein Informant der einen oder anderen Art. »Also, dieser Jemand hat ihnen vor ein paar Wochen erzählt, Roberto handle mit Drogen.« Patta verstummte.
Da der Vice-Questore offensichtlich nichts weiter sagen wollte, fragte Brunetti: »Und warum hat man Sie angerufen?«
Als hätte Brunetti die Frage gar nicht gestellt, redete Patta jetzt weiter: »Ich dachte, Sie würden dort vielleicht jemanden kennen, der uns genauer sagen kann, was los ist - wer diese Person ist, wie weit die Ermittlungen schon gediehen sind.« Wieder lag Brunetti das Wort »Informant« auf der Zunge, aber er behielt es für sich. »In dieser Art«, fügte Patta hinzu, als Brunetti weiter schwieg.
»Bedaure, Vice-Questore«, antwortete Brunetti jetzt, »ich kenne dort wirklich niemanden.« Nach
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