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Brunetti 09 - Feine Freunde

Brunetti 09 - Feine Freunde

Titel: Brunetti 09 - Feine Freunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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hatte es aus behördlicher Sicht ein Unfall zu sein.
    Brunetti war mit einer Doppelsichtigkeit gesegnet - oder geschlagen -, die ihn zwang, in jeder Situation mindestens zwei Standpunkte zu sehen, und darum wußte er, wie absurd sein Verdacht jedem erscheinen mußte, der ihn nicht teilte. Sein gesunder Menschenverstand befahl ihm also, die Finger davon zu lassen und das Offensichtliche zu akzeptieren: Franco Rossi war nach einem unglücklichen Sturz von einem Gerüst gestorben. »Holen Sie morgen vormittag aus dem Krankenhaus seinen Wohnungsschlüssel, und dann sehen Sie sich mal in seiner Wohnung um.«
    »Wonach soll ich suchen?«
    »Keine Ahnung«, antwortete Brunetti. »Versuchen Sie ein Adreßbuch zu finden, Briefe, Namen von Freunden oder Verwandten.«
    Brunetti war so in seine Überlegungen vertieft gewesen, daß er gar nicht gemerkt hatte, wie sie in den Rio San Lorenzo eingebogen waren, und erst der sanfte Stoß, mit dem das Boot vor der Questura anlegte, sagte ihm, daß sie angekommen waren.
    Sie gingen zusammen an Deck. Brunetti dankte Bonsuan, der damit beschäftigt war, das Boot am Kai zu vertäuen, dann eilten er und Vianello durch den Regen zur Eingangstür der Questura, die ein Uniformierter für sie aufriß. Bevor Brunetti sich dafür bedanken konnte, sagte der junge Mann: »Der Vice-Questore möchte Sie sprechen, Commissario.«
    »Ist er denn noch im Haus?« fragte Brunetti höchst erstaunt.
    »Ja, Commissario. Er hat gesagt, ich soll es Ihnen sofort ausrichten, wenn Sie kommen.«
    »Ja, danke«, sagte Brunetti, dann zu Vianello: »Ich glaube, es ist besser, ich gehe mal nach oben.«
    Sie gingen zusammen die erste Treppe hinauf, beide nicht sonderlich an der Frage interessiert, was Patta wohl wollte. Im ersten Stock bog Vianello in den Korridor ein, der zur Hintertreppe und über diese zum Labor führte, wo der Kriminaltechniker Bocchese herrschte: unangefochten, uneilig und unbeeindruckt von Titeln und Dienstgraden.
    Brunetti begab sich zu Pattas Dienstzimmer. Signorina Elettra saß an ihrem Schreibtisch und sah auf, als er eintrat. Sie winkte ihn mit der einen Hand herein, während sie mit der anderen den Telefonhörer abnahm und auf einen Knopf drückte. Nach ein paar Sekunden sagte sie: »Commissario Brunetti ist hier, Dottore.« Sie wartete Pattas Antwort ab, sagte: »Selbstverständlich, Dottore« und legte den Hörer wieder auf.
    »Er muß eine Gefälligkeit von Ihnen wollen. Anders ist es nicht zu erklären, daß er nicht schon den ganzen Nachmittag Ihr Blut fordert«, konnte sie gerade noch sagen, bevor die Tür aufging und Patta erschien.
    Sein grauer Anzug sah ganz nach Kaschmir aus, und die Krawatte war von der Art, die in Italien als englische Clubkrawatte galt. Trotz des regnerischen, kühlen Frühlings war Pattas wohlgeformtes Gesicht straff und sonnengebräunt. Er trug eine dünnrandige Brille mit ovalen Gläsern - schon die fünfte, die Brunetti ihn tragen sah, seit Patta in der Questura war; ihr Design war stets um ein paar Monate dem voraus, was bald alle Welt tragen würde. Einmal hatte Brunetti, der seine eigene Lesebrille vergessen hatte, Pattas Brille vom Schreibtisch genommen und sie sich vor die Augen gehalten, um ein Foto genauer anzusehen, und dabei entdeckt, daß in dem Rahmen gewöhnliches Fensterglas war.
    »Ich wollte den Commissario gerade zu ihnen hineinschicken, Vice-Questore«, sagte Signorina Elettra. Brunetti sah, daß auf ihrem Schreibtisch plötzlich zwei Aktenordner und drei Blatt Papier lagen, die vor einer Sekunde noch nicht darauf gelegen hatten.
    »Ja, kommen Sie doch herein, Dottor Brunetti«, sagte Patta und streckte ihm die Hand entgegen, eine Geste, die Brunetti unwillkürlich an Klytämnestra denken ließ, wie sie ihren Agamemnon wohl von seinem Streitwagen gelockt haben mußte. Er konnte gerade noch Signorina Elettra einen letzten Blick zuwerfen, dann fühlte er sich am Arm gefaßt und freundlich in Pattas Zimmer gezogen.
    Patta schloß die Tür und ging zu den beiden Sesseln, die er vor den Fenstern stehen hatte. Er wartete, bis Brunetti ihm gefolgt war, dann bedeutete er ihm mit einer Geste, Platz zu nehmen, und setzte sich selbst; ein Innenarchitekt hätte gesagt, daß die Sessel zueinander im »Konversationswinkel« standen.
    »Freut mich, daß Sie mal etwas Zeit für mich erübrigen können, Commissario«, sagte Patta. Brunetti vernahm den Unterton von wütendem Sarkasmus und fühlte sich sogleich auf vertrauterem Boden.
    »Ich mußte fort«,

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