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Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune

Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune

Titel: Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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geworden, oder daß man sich nicht über alles den Kopf zerbrechen kann. Vielleicht geraten sie sogar in Wut und sagen, Sie wollen Leuten ihre Arbeit wegnehmen. Aber eines erreichen Sie auf keinen Fall, nämlich daß sie nicht mehr tun, wonach ihnen der Sinn steht - Fisch essen, der im Dunkeln von selbst leuchtet, oder jemanden bestechen, damit sie den Fisch weiter fangen und verkaufen können.«
    Brunetti machte sich klar, daß dies die längste Rede war, die er Bonsuan in all den Jahren, die er ihn schon kannte, hatte halten hören. Da der Bootsführer am Anfang von zwei Neffen und seiner bevorstehenden Pensionierung gesprochen hatte, wollte Brunetti nicht ganz glauben, daß die Erklärung völlig aufrichtig war.
    »Wenn Sie in Pension gehen«, begann er, »werden Sie dann bei Ihren Neffen arbeiten?«
    »Ich habe einen Bootsführerschein«, antwortete Bonsuan. »Ich kann mir nicht leisten, mir ein Wassertaxi zu kaufen. Außerdem glaube ich nicht, daß mir das Spaß machen würde. Die sind doch auch nur so eine raffgierige Bande.«
    »Und Sie kennen die Lagune«, sagte Brunetti.
    »Ich kenne die Lagune.«
    Resigniert meinte Brunetti: »Können Sie mir nicht irgend etwas sagen?«
    Er wußte, daß Bonsuan nicht so hartgesotten war, wie er auftrat. Im Lauf der Jahre hatte Brunetti ihn auch schon seinen Panzer abwerfen und die Maske des brummigen alten Seebären, den kein von Menschen begangenes Verbrechen überraschen konnte, fallenlassen sehen. »Das wäre nämlich ganz nützlich«, meinte er noch, damit es mehr nach Empfehlung als nach Bitte klang.
    Bonsuan erhob sich. Bevor er sich aber zur Tür wandte, sagte er: »Die Frage ist weniger, welche Fischer das tun, Commissario; die Frage ist eher, welche es nicht tun.« Er führte die rechte Hand ungefähr in Richtung Stirn, was Brunetti als angedeutetes Salutieren verstand, und fuhr fort: »Das ist zu groß für Sie und zu groß für uns.« Dann wünschte er noch einen guten Tag und ging.
    Damit war Brunetti nicht klüger als bevor er den Bootsführer zu sich hatte heraufkommen lassen. Er sah jetzt ein, wie dumm es von ihm gewesen war, zu hoffen, ein Appell an die Loyalität des Mannes gegenüber der Polizei oder dem öffentlichen Wohl könne etwas nützen, wenn auf der anderen Seite die Sippe, oder schlimmer noch die Familie stand. Vermutlich war ja diese Fähigkeit, an Sippe und Familie statt nur an sich selbst zu denken, ein Schritt in Richtung Zivilisation, aber was für ein winziger Schritt! Wie immer, wenn er sich bei solchen Verallgemeinerungen in bezug auf menschliches Verhalten ertappte, zu denen er meist Zuflucht nahm, wenn er eine Rechtfertigung für seine Kritik am Verhalten eines bestimmten Menschen suchte, den er kannte, endete er mit der Frage an sich selbst, ob er sich denn unter gleichen Umständen anders verhalten würde. Der Schluß, zu dem er gewöhnlich kam, nämlich daß er selbst auch nicht anders handeln würde, machte seinen Überlegungen für gewöhnlich ein Ende und ließ ihn mit einem leichten Unbehagen an seinem stets gestrengen Ich zurück. Schließlich gab es wirklich kaum Hinweise darauf, daß öffentliche Einrichtungen oder Regierungen sich für das öffentliche Wohl auch nur im allermindesten interessierten.
    Er dachte noch eine Zeitlang über das Gespräch mit Bonsuan nach. Sicherlich hatte er im Lauf der Jahre zahlreiche Berichte über gewaltsame Zwischenfälle in diesen Gewässern gelesen: Boote waren zusammengestoßen oder auf Grund gesetzt worden, Männer über Bord gefallen oder geworfen worden und dann entweder ertrunken oder nicht; es waren Schüsse von Booten aus gefallen, die man nicht sah, abgefeuert von Männern, deren Identität nie herauskam. Überwiegend aber galt die Lagune als gutartig bei denen, die in und an ihr wohnten und ihr vielfach ihren Lebensunterhalt oder ihren Reichtum verdankten.
    In Anbetracht seiner wachsenden Neugier ließ er den abergläubischen Gedanken fahren, er könne Signorina Elettras Entschluß in irgendeiner Weise beeinflussen, und rief bei ihr unten an, um sie zu bitten, für ihn im Archiv des Gazzettino nachzuforschen, was es da in den letzten drei Jahren über die Lagune, Fischer und Muschelfischer gegeben habe, insbesondere, was Gewalttaten von Fischern untereinander oder zwischen Fischern und Polizei anging. Er wußte, daß er mehr als einen Artikel darüber gelesen hatte, aber da Gewalttaten auf dem Wasser meist der Hafenpolizei oder den Carabinieri gemeldet wurden, hatte er sich wenig

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