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Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune

Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune

Titel: Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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zurück. »Guten Morgen«, sagte er nur und hoffte, sie beide mit dieser normalen Begrüßung zurückzuversetzen in eine einfachere Zeit, bevor sie auf die Idee gekommen war - halt, nein, hier wollte er ehrlich sein: bevor er sie auf die Idee gebracht hatte -, nach Pellestrina hinauszufahren.
    »Guten Morgen, Commissario«, erwiderte sie in völlig normalem Ton. Er sah ein paar Blätter Papier in ihrer Hand.
    »Die Bottins?« fragte er.
    Sie hob die Blätter hoch. »Ja. Aber im Grunde sehr wenig«, meinte sie bedauernd. »An den anderen arbeite ich noch.«
    »Dann zeigen Sie mal her«, sagte er, indem er sich wieder hinsetzte, sehr auf einen rein sachlichen Ton bedacht.
    Sie legte ihm die Blätter auf den Tisch, drehte sich um und ging zur Tür. Brunetti sah ihr nach. Ihr schmaler Rücken war überbetont durch einen hellblauen Pullover mit dünnen weißen Längsstreifen. Dabei erinnerte er sich, daß er sie vor Jahren einmal gefragt hatte, was sie vom neuen Jahrtausend erwarte und was für Pläne und Hoffnungen sie damit verbinde. Sie hatte darauf geantwortet, ihr einziger Plan sei, zu sehen, wie gut Babyblau, die für das neue Jahrzehnt angekündigte Modefarbe, ihr stehe, und ihre einzige Hoffnung sei, daß sie ihr stehe. Auf sein Drängen hatte sie eingeräumt, daß sie sich doch noch die eine oder andere Kleinigkeit wünsche, aber darüber lohne sich kaum zu reden, und damit war das erledigt gewesen. Also, Babyblau stand ihr, und Brunetti wünschte ihr im stillen, daß auch alle anderen Hoffnungen, die sie gehabt haben mochte, sich erfüllt hatten.
    Die Bottins entpuppten sich beim Durchblättern der Unterlagen als nichts Besonderes: Beiden gemeinsam gehörten das Haus auf Pellestrina und die Squalus, aber sie hatten getrennte Bankkonten. Beide besaßen ein Auto, aber Marco war dazu noch Alleinbesitzer eines Hauses auf Murano, das seine Mutter ihm vererbt hatte.
    Jenseits der Geldgefilde bekam Giulio Bottin jedoch Ecken und Kanten: Er war den Carabinieri auf dem Lido bekannt und hatte schon etliche Anzeigen gegen sich laufen gehabt, drei davon im Gefolge von Wirtshausschlägereien und eine nach einem Zwischenfall mit zwei Booten in der Lagune, aber das andere Boot hatte nicht Scarpa gehört. Bottin schien allerdings, was die Polizei anging, insofern unverwundbar gewesen zu sein, als nie eine Anklage gegen ihn erhoben worden war, woraus man schließen konnte, daß es entweder an Beweisen mangelte oder die Zeugen nicht sehr aussagewillig waren. Marco war bei der Polizei noch nie auffällig geworden.
    Brunetti suchte nach einem Bericht über den Zwischenfall in der Lagune, doch es gab darüber nichts Näheres. Er versagte es sich, bei Signorina Elettra anzurufen und sie zu fragen, wer solche Informationen vielleicht liefern könne, womit er die stille Hoffnung verband, daß sie ihre Expedition nach Pellestrina irgendwie vergessen werde.
    Statt dessen rief er im Bereitschaftsraum an und bat, man solle Bonsuan zu ihm heraufschicken.
    Ein paar Minuten später klopfte der Bootsführer an seine Tür, trat ein, ohne zu salutieren oder Brunettis Rang sonstwie zu würdigen, und setzte sich auf den Stuhl, den sein Vorgesetzter ihm anwies. Er hatte im Sitzen die Füße fest auf dem Boden und die Hände an den Armlehnen, als hätte ein Leben auf dem Meer ihn gelehrt, in jeder Lage auf plötzlichen Wellengang oder einen Wechsel der Strömung gefaßt zu sein. Brunetti sah Bonsuans kleinen Finger, der nur noch ein kurzer Stumpf war, weil er die beiden letzten Glieder bei einem lange vergessenen Bootsunfall verloren hatte.
    »Bonsuan«, begann Brunetti, »haben Sie irgendwelche Fischer als Freunde?«
    Bonsuan legte keinerlei Neugier an den Tag. »Fischer ja, vongolari nein.« Die Entschiedenheit, mit der er diese Antwort gab, überraschte Brunetti ebenso wie die Unterscheidung, die er dabei traf.
    »Was haben Sie denn gegen vongolari?« fragte Brunetti. Er hatte ähnliche Äußerungen über die Muschelfischer unter anderem auch schon von Vianello gehört, aber noch nie mit solch deutlichem Abscheu.
    »Weil das Hurensöhne sind, einer wie der andere. Figli di puttane.«
    »Wieso?«
    »Hyänen sind sie«, antwortete Bonsuan. »Oder Geier.
    Sie reißen alles nach oben mit ihren verdammten Saugrüsseln, zerwühlen die Laichplätze, vernichten ganze Kolonien.« Bonsuan machte eine Atempause, rückte auf seinem Stuhl ein wenig nach vorn und legte von neuem los. »Sie denken überhaupt nicht an die Zukunft. Die Muschelbänke haben uns

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