Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune
damit verschwenden. Er hat mir vor ein paar Wochen erklärt, daß er hinwill, und bevor ich das mit der Sprache überhaupt erwähnen konnte, sagte er schon, seine Frau sei bereit, ihn als Dolmetscherin zu begleiten.«
»Davon hat er mir nie etwas gesagt.« Signorina Elettra konnte ihre Überraschung - und Verärgerung, wie er glaubte - kaum verbergen. »Spricht sie denn Englisch?«
»So gut wie er«, antwortete Brunetti, dann drehte er sich um und klopfte an Pattas Tür.
Wie immer, wenn der Vice-Questore sich anschickte, Brunetti - an den die Einladung zu der Konferenz eigentlich adressiert gewesen war - schlecht zu behandeln, spielte er selbst die Rolle des Gekränkten. Und damit das Bühnenbild dazu paßte, zog er es vor, hinter seinem Schreibtisch sitzen zu bleiben, um sich eine Ebene tiefer zu befinden als Brunetti.
»Wo waren Sie denn die ganzen letzten Tage?« fragte er, kaum daß er Brunetti sah, der diese Taktik sofort als Präventivschlag erkannte. Patta selbst trug heute einen grauen Anzug, den Brunetti noch nie an ihm gesehen hatte, und sah so aus, als hätte er die letzten Tage damit verbracht, sich für seine Reise nach London herzurichten. Sein angegrautes Haar war frisch geschnitten, und sein Gesicht hatte diesen frühsommerlichen Teint, den man dem geschickten Einsatz von Bräunungslampen verdankt. Brunetti konnte wie immer nur darüber staunen, wie perfekt Patta äußerlich für den Posten eines leitenden Polizeibeamten zugeschnitten schien; oder für jeden leitenden Posten überhaupt.
»Wir hatten einen Anruf von Pellestrina bekommen, Vice-Questore. Zwei Männer waren auf ihrem Boot ermordet worden.« Brunetti gab sich so uninteressiert wie nur möglich. »Da der Anruf bei uns ankam, hatte ich keine andere Wahl, als hinzufahren und mir das anzusehen.«
»Es liegt außerhalb unseres Zuständigkeitsbereichs«, erklärte Patta, obwohl das, wie beide wußten, nicht stimmte.
»Die Carabinieri wurden auch gerufen«, sagte Brunetti mit einem Lächeln, das sowohl Erleichterung als auch Übereinstimmung mit Pattas Einwand zeigen sollte. »Es ist also durchaus wahrscheinlich, daß ihnen der Fall übertragen wird.«
Irgend etwas an Brunettis Ton machte Patta mißtrauisch, ganz wie ein Hund mißtrauisch wird, wenn er einen unvertrauten Ton in einer vertrauten Stimme hört. »Sieht es nach einem einfachen Fall aus?«
»Das weiß ich nicht, Vice-Questore. Gewöhnlich stellt sich bei solchen Sachen Eifersucht oder Habgier als Motiv heraus.«
»Dann dürfte der Fall ja sicher leicht zu lösen sein. Vielleicht sollten wir ihn doch behalten.«
»Oh, daß der Fall einfach sein wird, daran zweifle ich nicht, Vice-Questore. Einige Leute von da draußen haben uns schon jemanden genannt, der Ärger mit einem der Opfer hatte.«
»Und?« forschte Patta, jetzt ganz Ohr, nachdem die Sache einfach erschien. Die schnelle Lösung eines Mordfalles wäre eine Feder am Hut der Questura von Venedig. Brunetti sah seinen Vorgesetzten im Geiste schon die Schlagzeile formulieren: vice-questore sorgt mit schnellem handeln für rasche aufklärung eines mordes.
»Aber wenn Sie nächste Woche nicht da sind, ViceQuestore, ist es vielleicht doch besser, den Fall den Carabinieri zu überlassen.« Brunetti wartete ab, ob Patta sein Stichwort aufnehmen und auf die Kommandogewalt während seiner Abwesenheit zu sprechen kommen würde.
»Damit die sich damit schmücken können?« rief Patta ohne jeden Versuch, seine Entrüstung zu verbergen, und ohne auf die kommende Woche einzugehen. »Wenn der Fall so einfach ist, wie Sie sagen«, begann er und hob die Hand, um Brunettis Einspruch abzuwehren, »sollten wir unbedingt die Ermittlungen selbst führen. Die Carabinieri würden doch nur alles verpfuschen.«
»Aber ich weiß nicht, Vice-Questore«, widersprach Brunetti zaghaft, »ob wir jemanden erübrigen können, der nach da draußen geht.« Zu Brunettis Lieblingsfiguren in der Literatur gehörte schon immer Jago, dessen Geschick er seit langem bewunderte und oft nachzuahmen versuchte. Sozusagen mit Jagos Bildnis am Busen fuhr er also fort: »Vielleicht könnte Marotta das übernehmen. Es wäre gut, jemanden zu schicken, der unmöglich etwas mit den Leuten dort zu tun haben kann. Ist er nicht aus Turin?« Als Patta nickte, fuhr Brunetti fort: »Gut, dann besteht nicht die Gefahr, daß er mit jemandem auf Pellestina bekannt oder verwandt sein könnte.«
Jetzt hatte Patta genug. »Um Himmels willen, Brunetti, gebrauchen Sie Ihren
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