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Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune

Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune

Titel: Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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Verstand. Wenn wir da einen Torinese hinausschicken, wird doch niemand ein Wort mit ihm reden. Es muß unbedingt einer von hier sein.« Und als wäre es ihm nachträglich eingefallen, fuhr Patta fort: »Außerdem wird Marotta während meiner Abwesenheit hier meine Stelle einnehmen, er kann also gar nicht ans andere Ende der Lagune fahren, um dort mit Leuten zu reden, die nichts als ihren Dialekt sprechen können.« Wenn diese Leute auch noch geglaubt hätten, die Erde sei flach und der Mittelpunkt des Universums, Pattas Verachtung für sie hätte nicht deutlicher sein können.
    Ohne auf Pattas Bemerkung einzugehen und nicht ganz sicher, ob er es riskieren konnte, fragte Brunetti dennoch: »Aber wer sonst, Vice-Questore?«
    »Manchmal sind Sie unglaublich blind, Commissario.« Patta sprach so herablassend, daß Brunetti nur noch die Selbstbeherrschung seines Vorgesetzten bewundern konnte, dank derer er immerhin nicht »dumm« gesagt hatte. »Sie sind Venezianer. Sie waren auch schon draußen.«
    Unter Aufbietung ebensolcher Selbstbeherrschung versagte Brunetti es sich, die Hände zum Himmel zu heben, um Erschrecken und Erstaunen auszudrücken. Diese Geste, die er von Stummfilmen aus den zwanziger Jahren kannte, hätte er schon immer gern einmal selbst ausprobiert. Statt dessen sagte er mit todernster Stimme: »Hm, ich weiß nicht, Vice-Questore.« Er hatte schon öfter festgestellt, daß leichtes Sporengeben bei Patta viel besser wirkte als die Peitsche.
    »Aber ich weiß. Es ist ein leichter Fall, und wir können alle gute Presse brauchen, die wir bekommen können, vor allem nachdem diese Trottel von der magistratura sämtliche Mafiosi aus den Gefängnissen gelassen haben.«
    In den Zeitungen hatte die letzten Tage kaum noch etwas anderes gestanden. Fünfzehn Mafia-Führer, alle zu lebenslänglich verurteilt, waren auf freien Fuß gesetzt worden, nachdem in ihren Berufungsverhandlungen kleine Verfahrensfehler entdeckt worden waren. Einer von ihnen hatte sich, wie die Zeitungen nie zu erwähnen vergaßen, zum Mord an neunundfünfzig Menschen bekannt. Und nun liefen sie alle frei herum. Brunetti erinnerte sich an Signorina Elettras Worte: »Frei wie die Luft.«
    »Ich bin mir nicht sicher, ob das eine mit dem anderen zusammenhängt, Vice-Questore«, wandte Brunetti ein.
    »Natürlich hängt das zusammen«, rief Patta mit zornig erhobener Stimme. »Jede Art von schlechter Presse fällt auf uns alle zurück.«
    Ging es Patta wirklich nur darum, fragte sich Brunetti -eine schlechte Presse? Diese lachenden Monster waren frei und konnten sich weiter an den Leichen ihrer Opfer mästen, und alles, was Patta darin sah, war eine schlechte Presse?
    Ehe Brunetti aus Prinzip dagegen aufbegehren konnte, fuhr Patta jedoch schon fort: »Ich wünsche, daß Sie da hinausfahren und das erledigen. Wenn Sie schon einen Namen kennen, sehen Sie zu, was Sie über den Betreffenden herausbekommen. Bringen Sie das schnell über die Bühne.« Patta hob einen Aktenordner von seinem Schreibtisch hoch, klappte ihn auf, nahm seinen Mont Blanc aus der Brusttasche und begann zu lesen.
    Brunetti sah wohlweislich davon ab, sich gegen Pattas gebieterischen Ton oder die rüde Beendigung des Gesprächs zu verwahren. Er hatte bekommen, was er haben wollte: Der Fall war sein. Aber nicht zum ersten Mal verließ er Pattas Büro mit dem Gefühl, sich selbst erniedrigt zu haben, indem er den anderen allzu leicht manipuliert und sich selbst die Narrenkappe aufgesetzt hatte, um zu bekommen, was ihm von Rechts wegen ohnehin zustand. Marottas vorübergehende Ernennung war nicht mit einem Wort diskutiert und Patta somit um die Gelegenheit gebracht worden, sich seines vermeintlichen Sieges zu freuen. Aber so war es Brunetti wenigstens erspart geblieben, sich ob dieser Entscheidung beleidigt zu stellen. Kommandogewalt war das letzte, was er anstrebte, aber das hütete er sich, seinem Vorgesetzten durch Worte oder Taten mitzuteilen. Brunetti, von Natur und Neigung unfähig, am Altar des Götzen Erfolg zu beten, hatte bescheidenere Ziele. Er war ein Mann, der in kurzen Fristen dachte und nur am Hier und Jetzt, am Konkreten interessiert war. Größere Ziele und Wünsche überließ er anderen, er selbst begnügte sich mit kleineren: eine glückliche Familie, ein anständiges Leben und das Bestreben, seine Arbeit so gut wie möglich zu tun. Es schien ihm wenig genug verlangt vom Leben, und so beschied er sich mit diesen Hoffnungen.

10
    A m nächsten Morgen machten sich

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