Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune
bin am Strand. Und es geht mir gut.«
Ferne Möwenschreie bestätigten die Richtigkeit des ersten Teils der Aussage, der leichte Ton die des zweiten.
»Signorina«, begann er so unvermittelt wie unbedacht, »Sie sind jetzt schon über eine Woche draußen. Ich meine, es wird Zeit, daß Sie sich Gedanken übers Zurückkommen machen.«
»O nein, Commissario, diese Idee finde ich überhaupt nicht gut.«
»Ich aber«, sagte er mit Nachdruck. »Ich finde, Sie sollten sich von Ihren Verwandten verabschieden und morgen wieder zur Arbeit kommen.«
»Wir haben Anfang der Woche, Commissario, und ich hatte vor, mindestens bis zum Wochenende zu bleiben.«
»Also, ich halte es für besser, wenn Sie zurückkommen. Seit Sie fort sind, hat sich hier eine Menge Arbeit angesammelt.«
»Bitte, Commissario, da ist bestimmt nichts dabei, was nicht eine der anderen Sekretärinnen erledigen kann.«
»Ich brauche einiges an Informationen«, sagte Brunetti, der selbst merkte, daß sein Ton schon fast flehend klang. »Dinge, die ich den Sekretärinnen nicht auf die Nase binden möchte.«
»Vianello kann inzwischen gut genug mit dem Computer umgehen, um Ihnen zu beschaffen, was Sie brauchen.«
»Es betrifft die Guardia di Finanza«, versuchte Brunetti einen großen Trumpf auszuspielen. »Von der brauche ich Informationen, und ich bezweifle, daß Vianello sie bekäme.«
»Informationen welcher Art, Commissario?« Er hörte Geräusche im Hintergrund - Seemöwen, irgendeine Sirene, einen anspringenden Automotor - und erinnerte sich, wie schmal der Strand von Pellestrina war - und wie nah bei der Straße.
»Steuerhinterziehung.«
»Da brauchen Sie doch nur die Zeitung zu lesen, Commissario«, meinte sie und mußte über den eigenen Witz lachen. Als er dazu schwieg, sprach sie weiter, allerdings war das Lachen nicht mehr in ihrer Stimme, die aber deswegen nicht weniger schön klang. »Sie können dort in der Zentrale anrufen und fragen. Dort arbeitet ein Maresciallo Resto, der Ihnen alles sagen kann, was Sie wissen müssen. Sagen Sie ihm nur, daß ich Ihnen empfohlen habe, ihn anzurufen.«
Er kannte sie lange genug, um die höfliche Unbeugsamkeit zu erkennen, mit der er es zu tun hatte. »Ich fände es besser, wenn Sie das in die Hand nähmen, Signorina.«
Alle Nettigkeit war aus ihrer Stimme verschwunden, als sie antwortete: »Wenn Sie so weitermachen, Commissario, werde ich mich gezwungen sehen, noch eine Woche richtigen Urlaub zu nehmen, und das möchte ich doch lieber nicht, weil es sehr zeitaufwendig wäre, die Dienstpläne anzupassen.«
Er hätte sie am liebsten kurzerhand gefragt, was das für ein Mann war, mit dem er sie gestern gesehen hatte, aber ihr Verhältnis zueinander bot keine Grundlage für eine solche Frage, schon gar nicht in dem Ton, den er sich, wie er wußte, bestimmt nicht verkneifen könnte. Er war ihr Vorgesetzter, doch das berechtigte ihn nicht, in loco parentis zu handeln. Weil der Stellungsunterschied zwischen ihnen die Vertrautheit der Freundschaft ausschloß, konnte er sie auch nicht einfach fragen, was sich zwischen ihr und dem gutaussehenden jungen Mann abspielte, mit dem er sie gesehen hatte. Er hätte nicht gewußt, wie er seine Sorge ausdrücken sollte, ohne daß sie wie Eifersucht klang, und nicht einmal sich selbst hätte er erklären können, was von beiden er tatsächlich empfand.
»Dann sagen Sie mir wenigstens, ob Sie etwas erfahren haben«, forderte er sie auf, jetzt um einen nicht mehr so strengen Ton bemüht, damit die Niederlage, die er so eindeutig hatte einstecken müssen, den kleinen Anschein eines Kompromisses bekam.
»Erfahren habe ich nichts, aber gelernt, woran man ein sandolo von einem puparin unterscheidet. Und wie man auf einem Sonarbild einen Fischschwarm entdeckt.«
Er widerstand der Versuchung, sarkastisch zu werden, und fragte in verbindlichem Ton: »Und die Morde?«
»Nichts«, räumte sie ein. »Ich bin nicht von hier, also spricht in meiner Gegenwart keiner darüber, jedenfalls nicht mehr als das Übliche, was Leute eben so sagen.« Es klang, als schmerzte es sie, daß die Pellestrinotti sie nicht als ihresgleichen behandelten, und er hätte gern gewußt, was dieser Ort und seine Bewohner nur an sich hatten, daß solche Gefühle aufkommen konnten. Aber er hütete sich, sie das zu fragen.
»Was ist mit Pucetti? Hat er etwas in Erfahrung gebracht?«
»Nicht daß ich wüßte, Commissario. Ich sehe ihn in der Bar, wenn er mir einen Kaffee macht, aber bisher hat er mir
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