Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune
linke Hand hinten um sie herum griff und auf ihrem Arm zu liegen kam. Sie hatte sich bereits an die Art gewöhnt, wie diese Hand seinen Gefühlen Ausdruck gab, wie die Finger sich um ihren Arm spannten, wenn er etwas sagen wollte, was ihm besonders wichtig war, oder wie sie in einem schnellen Rhythmus zu klopfen begannen, wenn er sich anschickte, einen Witz zu machen. Er war zwar nicht der erste Mann, der ihren Arm berührte, aber nur wenige hatten dabei ebenso ihr Herz angerührt, wie es bei ihm der Fall war. Einmal war sie nachts mit ihm und seinem Onkel hinausgefahren, und da hatte sie seine mit Fischinnereien, Schuppen und Blut bedeckten Hände im Licht des Vollmonds glänzen sehen, und sein Gesicht war ganz abwesend und völlig darauf konzentriert gewesen, die Beute aus dem Netz in die unter Deck befindliche Kühlkammer zu befördern. Dann hatte er einmal aufgeblickt und bemerkt, daß sie ihn beobachtete, worauf er sich sofort in Frankensteins Monster verwandelte, die erhobenen Arme vor sich ausstreckte und mit drohend zuckenden Fingern steifbeinig auf sie zugestapft kam.
Sie hatte gequietscht - es gab kein freundlicheres Wort dafür: gequietscht vor schaurigem Entzücken, während sie an die Reling zurückwich. Das Monster kam näher, die Hände schossen in rücksichtsvollem Abstand von ihren Haaren beiderseits an ihrem Kopf vorbei, und Carlos lächelnder Mund legte sich sanft auf den ihren und verweilte dort, bis sein Onkel, der am Ruder stand, zu ihm herüberrief: »Das ist kein Fisch, Carlo. Marsch, zurück an die Arbeit.«
Heute aber, hier am Strand, war kein Gedanke an Arbeit. Seine Hand spannte sich um ihren Arm; eine Möwe kreischte und schwang sich in die Lüfte, als er sie an sich zog, nicht grob, aber auch nicht zu sanft. Der Kuß war lang, und ihre Körper verschmolzen dabei, soweit das möglich war, noch enger miteinander. Er löste sich von ihr, schob die Hand nach oben, legte sie sanft um ihren Hinterkopf und drückte ihr Gesicht in die Mulde an seiner Schulter. Dann begann die Hand über ihren Rücken zu gleiten, auf und ab und auf und ab, und schließlich hielt sie mit gespreizten Fingern an ihrem Gürtel inne.
Elettra gab einen Laut von sich, der halb Seufzer war, wie eine Sopranistin kurz vor ihrem Einsatz zu einer großen Arie. Er schob zwei Fingerspitzen - Ringfinger und kleiner Finger, aber nur die Spitzen - langsam unter ihren Gürtel. Sie öffnete den Mund und drückte ihn an sein Schlüsselbein, und plötzlich biß sie durch die dicke Wolle seines Pullovers zu.
Sie drückte sich von ihm ab, griff blind nach seiner Hand und führte ihn mit schnellen Schritten den Strand hinunter auf den Wellenbrecher zu, den mit der Höhle.
20
B runetti, dem seine Leidenschaften weniger zusetzten als seine Umbenennung in Silvia, ließ sich noch einmal durch den Kopf gehen, was er Signorina Elettra soeben an Lügen aufgetischt hatte. Er brauchte keine Auskünfte von der Guardia di Finanza, und es stimmte, daß Vianello es am Computer inzwischen weit genug gebracht hatte, um diesem Gerät eine erstaunliche Menge an Informationen zu entlocken. Das Wort »Finanza« spukte ihm allerdings weiter im Kopf herum und erinnerte ihn daran, daß er irgend etwas über sie gelesen oder erzählt bekommen hatte; es war, wie immer, etwas Unerfreuliches gewesen.
Er stand auf und ging ans Fenster, wo seine Aufmerksamkeit auf den Campo San Lorenzo gelenkt wurde, denn irgendwelche Leute - vielleicht die alten Männer aus dem Pflegeheim - hatten dort mehrgeschossige Schutzhütten für die streunenden Katzen gebaut, die seit Jahren den Campo bevölkerten. Er fragte sich, auf welche Katzengeneration er wohl heute hinunterblickte und wie sie mit jenen Katzen verwandt waren, die er dort schon gesehen hatte, als er vor über zehn Jahren zum erstenmal in die Questura gekommen war.
Flink und geschmeidig wie jene Katzen schlich sich der Name in sein Gehirn: Vittorio Spadini, Luisa Follinis angeblicher Liebhaber. Die Finanza hatte - wann? Vor zwei Jahren? - sein Boot beschlagnahmt. Spadini lebte auf Bu-rano; es war ein schöner Frühlingstag, ein geradezu vollkommener Tag für einen Mittagsausflug nach Burano. Brunetti sagte dem Beamten an der Pforte, wenn jemand nach ihm frage, solle er antworten, der Commissario habe einen Termin beim Zahnarzt und werde nach dem Mittagessen wieder zurück sein.
Er verließ das Vaporetto auf Mazzorbo und wandte sich nach links, um zu Fuß nach Burano zu gehen, voll Vorfreude schon auf ein
Weitere Kostenlose Bücher