Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima
ich beklage mich oft darüber, aber im Endeffekt kommt doch so manches Gute dabei heraus.«
»Machst du darum weiter?«
»Nein, nicht nur. Zum Teil wohl auch, weil ich von Natur aus neugierig bin und immer wissen will, wie die Geschichte ausgeht oder wie oder warum sie überhaupt angefangen hat.«
»Ich werde nie begreifen, wieso ausgerechnet du Henry James nicht magst«, sagte sie ehrlich erstaunt.
24
E s dauerte noch eine ganze Woche, bevor die Ermittlungen zum Tod der beiden Frauen mehr zutage förderten als Aktennotizen und Verteilerlisten, und als der Durchbruch endlich kam, verdankte man ihn jener urvenezianischen Einrichtung: einer Informationsbörse, die sich aus Freundschaftsdiensten und wechselseitigen Verpflichtungen speiste. Ein Beamter der Urkundenstelle beim Standesamt, der sich erinnerte, daß Signorina Elettra, deren Schwester die Ärztin seiner Frau war, einmal Interesse an Claudia Leonardo und Hedwig Jacobs bekundet hatte, rief eines Morgens an, um ihr zu sagen, daß Signora Jacobs' Testament vor zwei Tagen bei seiner Behörde eingereicht worden sei.
Elettra erkundigte sich, ob er ihr wohl eine Kopie des Testaments faxen könne, und als er antwortete, das sei »in höchstem Maße unstatthaft, aber ohne weiteres machbar«, da bedankte sie sich lachend und beendete das Gespräch mit der unausgesprochenen Zusicherung, daß man ein Auge zudrücken würde, sollte er je mit der Polizei aneinandergeraten. Gleich anschließend rief sie Brunetti an und bat ihn, hinunter in ihr Büro zu kommen.
Er hatte keine Ahnung, warum sie ihn sprechen wollte, doch als er eintrat, hörte er das Faxgerät rattern. Wortlos stand sie auf, ging zu dem Apparat, und als das erste Blatt die Zunge aus dem Schlitz streckte, machte sie eine tiefe Verbeugung, deutete auf das austretende Papier und winkte Brunetti heran. Neugierig beugte er sich darüber und begann zu lesen, noch bevor das Gerät den Text ganz ausgespuckt hatte. »Ich, Hedwig Jacobs, österreichische Staatsbürgerin mit Wohnsitz in Venedig, Santa Croce 3456, erkläre hiermit an Eides Statt, daß ich keine lebenden Angehörigen habe, die Anspruch auf meinen Nachlaß erheben könnten.« Er las den ersten Satz, blickte zu Signorina Elettra auf, die ihn beobachtete und ihre Selbstzufriedenheit nur mit einem kleinen Lächeln zu erkennen gab. Das Blatt ruckelte vorwärts, und er beugte sich wieder darüber. »Daher verfüge ich, daß mein gesamter Besitz im Falle meines Todes auf Claudia Leonardo übergeht, ebenfalls wohnhaft in Venedig und Enkelin von Luca Guzzardi. Sollte sie aus irgendeinem Grund dieses Vermächtnis nicht antreten können, so ist es mein erklärter Wille, daß der gesamte Nachlaß ihren Erben zufällt. Ferner vermache ich sechs Tiepolo-Zeichnungen, als deren rechtmäßige Eigentümerin ich auf dem Rahmenrücken vermerkt bin, zum Angedenken an Luca Guzzardi dem Direktor der Biblioteca della Patria, der im Dienste und zum Wohle der Bibliothek darüber verfügen möge.« Laut Datum war das Dokument zehn Tage vor Claudias Tod unterzeichnet worden. Brunetti, der unter Signora Jacobs' Unterschrift nur weißes Papier sah, blickte ratlos zu Signorina Elettra auf, aber dann spuckte das Faxgerät noch ein paar Zentimeter aus, und vor seinen Augen erschienen Name und Unterschrift des Notars, der das Testament aufgesetzt hatte: »Massimo Sanpaolo«. Die Unterschriften der beiden Zeugen waren unleserlich.
Brunetti zog das ausgedruckte Blatt aus dem Schlitz und reichte es Signorina Elettra, die genauso überrascht war wie vor ihr Brunetti, als sie auf den Namen des Notars stieß. »Oh, my!« rief sie auf englisch und setzte, ins Italienische wechselnd, spöttisch hinzu: »Was für ein Zufall.«
»Nicht wahr?« Brunetti schmunzelte. »Ja, die Familie Filipetto scheint überall ihre Finger im Spiel zu haben.«
Signorina Elettra ging wieder an ihren Schreibtisch, und noch bevor er sie darum bitten konnte, schlug sie vor: »Sollen wir mal nachsehen?«
Keine andere Familie hätte sich leichter durch die Archive oder die diversen Ämter und Institutionen der Stadt verfolgen lassen. Gianpaolo, den Brunetti inzwischen als »seinen« Filipetto betrachtete, war der einzige Sohn eines Notars und hatte seinerseits nur einen Sohn gezeugt, der an Krebs gestorben war. Eine seiner Töchter hatte bei den Sanpaolos eingeheiratet, ebenfalls eine berühmte Notarsdynastie, und es war ihr Sohn Massimo, der nach dem Tod seines Onkels Filipettos Kanzlei übernommen hatte. Massimo
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