Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima
war verheiratet und Vater zweier Söhne, die nach Brunettis Überzeugung auch mit ihren sechs beziehungsweise sieben Jahren bereits in die Mysterien der Notariatskunde eingeführt und dazu erzogen wurden, Reichtum und Ansehen der Familie zu erhalten und zu mehren. Gianpaolos jüngere Tochter hatte einen Ausländer geheiratet, aber erst mit weit über vierzig, und so war die Ehe kinderlos geblieben.
Die Kanzlei von Notaio Sanpaolo lag in einer engen calle unweit des Teatro Guidoni. Brunetti zog es vor, unangemeldet zu erscheinen, was er etwa zwanzig Minuten später tat. Er nannte einer der beiden Sekretärinnen im Vorzimmer seinen Namen, erhielt aber den Bescheid, daß Sanpaolo gerade un rogito begonnen habe, also die notarielle Verbriefung eines Immobilienverkaufs. Brunetti wußte, daß wahrscheinlich in Kürze eine Verhandlungspause eintreten würde, während der die Parteien die Geldübergabe regelten. Der Notar würde sich unter dem Vorwand entschuldigen, daß er noch eine Formsache überprüfen müsse, und in seiner Abwesenheit würden die Käufer den Verkäufern die tatsächliche Kaufsumme aushändigen, die immer doppelt so hoch war wie der offiziell angegebene und zu versteuernde Preis. Da der Handel bar abgewickelt wurde und in der Regel Hunderte Millionen Lire gezählt werden mußten, durfte der Notar mit einer langen Pause rechnen, bevor er wieder zurückmußte, um die Unterzeichnung des Vertrages zu beglaubigen. Vor allem aber konnte er, der bei diesem Akt von Staats wegen als Zeuge bestellt war, durch seine Abwesenheit während des Geldzählens wahrheitsgemäß beteuern, daß in seiner Gegenwart keine Barmittel geflossen seien.
Wie Brunetti es vorausgesehen hatte, kam Sanpaolo etwa zehn Minuten später aus seinem Büro, sah den Besucher, tat jedoch so, als erkenne er ihn nicht, und begann ein Gespräch mit einer der Sekretärinnen. Die aber machte ihren Chef auf Brunetti aufmerksam und sagte, der Herr wünsche ihn zu sprechen.
Sanpaolo war ein hochgewachsener, kräftig gebauter Mann mit starkem Bartwuchs und einem überfälligen Haarschnitt. In seiner Jugend mochte er sehr attraktiv gewesen sein, aber ein üppiger Lebensstil hatte seine Gesichtszüge erschlaffen und den Körper Fett ansetzen lassen, so daß er nun eher einem in die Breite gegangenen Sportler glich als einem seriösen Notar. Brunetti tippte darauf, daß der Jüngere sich vermutlich als schlechter Lügner erweisen würde: Bei Männern mit Kindern war das oft der Fall, auch wenn Brunetd nicht wußte, warum. Vielleicht machten brenzlige Situationen einen Familienvater eher nervös.
»Ja?« fragte Sanpaolo, der zögernd auf Brunetti zutrat, ihm unhöflicherweise aber nicht einmal die Hand bot.
»Brunetti, ich komme wegen des Testaments von Signora Hedwig Jacobs«, sagte der Commissario mit ruhiger Stimme und ohne sich auszuweisen.
»Was ist damit?« fragte Sanpaolo, forderte Brunetti aber immerhin nicht auf, den Namen zu wiederholen.
»Ich wüßte gern, wie es in Ihre Hände kam.«
»In meine Hände?« wiederholte Sanpaolo betont unverbindlich.
»Wie es dazu kam, daß Sie das Testament aufsetzten und beim Nachlaßgericht zur Bestätigung einreichten«, erläuterte Brunetti.
»Signora Jacobs war meine Mandantin, also ist es doch nur natürlich, daß ich ihr Testament aufgesetzt sowie ihre Unterschrift und die der beiden Zeugen beglaubigt habe.«
»Und wer sind diese Zeugen?«
»Mit welchem Recht stellen Sie solche Fragen?« Sanpaolos Nervosität schlug in Zorn um, und er wurde laut. Was die ruhige Sachlichkeit Brunettis nur verstärkte.
»Ich ermittle in einem Mordfall, und Signora Jacobs' Testament ist in diesem Zusammenhang wichtig.«
»Wie denn das?«
»Darüber darf ich Ihnen keine Auskunft geben, Notaio, aber ich versichere Ihnen, daß ich jedes Recht habe, mich nach dem Testament zu erkundigen.«
»Das wird sich zeigen«, sagte Sanpaolo und schwenkte ab, zurück zum Empfangstresen. Er sagte etwas zu einer der Sekretärinnen und verschwand durch eine Tür links neben seinem Büro. Die Frau, mit der er gesprochen hatte, schlug ein großes schwarzes Adreßbuch auf, suchte eine Telefonnummer heraus und stellte eine Verbindung her. Sie hörte kurz zu, sagte ein paar Worte, drückte eine Taste an der Telefonanlage und legte den Hörer auf. Obwohl weder sie noch ihre Kollegin von Brunetti Notiz zu nehmen schienen, mimte der Commissario mit Hingabe den Gelangweilten, der, des Wartens überdrüssig, immer wieder nach der Uhr sieht,
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