Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima
freien Stücken unterschrieben?« fragte Brunetti.
Sanpaolo war empört, daß seine anfänglichen Ausflüchte Brunetti auf die Idee brachten, er würde womöglich gegen die Gebote seines Berufsstandes verstoßen. »Selbstverständlich«, konterte er, wandte sich um und deutete auf die beiden Frauen, die sich immer noch angelegentlich über ihre Tastaturen beugten. »Sie können die Damen fragen.«
Das tat Brunetti und verblüffte damit nicht nur die beiden, sondern auch Sanpaolo, vielleicht weil sein Wort nie zuvor so deutlich in Frage gestellt worden war. »Ist das wahr, meine Damen?« rief Brunetti durch den Raum.
Sie blickten von ihren Tastaturen auf, und eine gab sich schockiert.
»Ja, Signore.«
Brunetti konzentrierte sich wieder auf Sanpaolo. »Hat Ihr Großvater Ihnen irgendeine Erklärung gegeben?«
Sanpaolo schüttelte den Kopf. »Nein, er rief nur an, diktierte das Testament und sagte, ich solle es am nächsten Tag der Signora zur Unterschrift vorlegen, es bezeugen lassen und in meiner Kanzlei registrieren.«
»Keinerlei Erklärung?«
Wieder schüttelte Sanpaolo den Kopf.
»Haben Sie denn keine verlangt?«
Diesmal konnte Sanpaolo sein Erstaunen nicht verbergen. »Niemand hinterfragt die Anordnungen meines Großvaters.« Er hörte sich an wie ein Schüler im Katechismusunterricht, der aufgerufen ist, eins der Zehn Gebote aufzusagen. Und die kindliche Schlichtheit, mit der er hinzusetzte: »Es ist uns nicht erlaubt, den nonno zu kritisieren«, ließ den Rest von Verachtung, die Brunetti noch für ihn hegen mochte, zu Mitleid schrumpfen.
Brunetti verließ die Kanzlei und kehrte in die Questura zurück. Auf dem Weg dorthin überließ der Commissario wieder einmal seinen Beinen die Führung, indes er über Filipettos Listen und Ränke nachdachte und über seine legendäre Habgier. Es wäre natürlich zu riskant gewesen, wenn sein Enkel sich in einem von ihm aufgesetzten Testament selbst als Erben benannt hätte, aber wie kam der Alte auf die Biblioteca della Patria? Als der Commissario sich San Marco näherte, rotierten seine Gedanken auf der Suche nach dem neuralgischen Punkt, an dem alle Spuren zusammenliefen. Indes, bislang kreuzten sie sich leider nur: Claudia und Signora Jacobs; Filipetto und Signora Jacobs; die Politik, die Claudia verabscheute und der ihr Großvater huldigte. Und dann war da noch die Lebenslinie, die ein Messer brutal durchtrennt hatte.
Vor den Wachtposten beim Amtssitz des Friedensrichters zückte Brunetti sein telefonino und wählte Signorina Elettras Nummer. Als sie sich meldete, sagte er: »Ich interessiere mich für alles, was Sie über Filipetto herausfinden können - beruflich oder privat -, und über die Biblioteca della Patria.«
»Offiziell?«
»Ja, aber ruhig auch das, was die Leute so reden.«
»Wann werden Sie hier sein, Signore?«
»In spätestens zwanzig Minuten.«
»Dann hänge ich mich jetzt ans Telefon, Signore«, sagte sie und legte auf.
Er beschleunigte seine Schritte nicht, sondern schlenderte gemächlich am bacino entlang und nutzte die Gunst des silbrig flimmernden Tages für einen Blick hinüber nach San Giorgio, machte dann eine Kehrtwendung um hundertachtzig Grad und betrachtete die Kuppeln der Kirchen, die das andere Kanalufer säumten. Einst hatte die Madonna die Stadt vor der Pest gerettet, und man errichtete ihr eine Kirche. Dann retteten die Amerikaner das Land vor den Deutschen, und McDonald's hielt Einzug in Venedig.
Als er in die Questura kam, ging Brunetti direkt in Signorina Elettras Büro. »Na? Fündig geworden?« fragte er noch von der Schwelle her.
»Ja. Ich habe ein bißchen rumtelefoniert.« Er war begierig zu erfahren, was das bedeuten mochte.
»Und?«
»Vor ein paar Jahren heiratete Filipettos jüngere Tochter einen Ausländer, der hier in Venedig beschäftigt war«, sagte sie und hielt ein Blatt von ihrem Notizblock in die Höhe. »Sie hat ein beachtliches Vermögen von ihrer Mutter geerbt, und das investierte sie, um ihm eine Position zu schaffen, eine sehr gut dotierte Position. Er ist wesentlich jünger als sie, und man munkelt, daß er ungeachtet seines Ehegelübdes nichts anbrennen läßt. Zum Beispiel hat mir jemand gesteckt, daß das Ehepaar vor ein paar Monaten aus einem Restaurant hinauskomplimentiert wurde.«
Obwohl ihn solcher Klatsch eigentlich nicht sonderlich interessierte, fragte Brunetti: »Und warum?«
»Meine Gewährsperson meint, der Filipetto habe es nicht gefallen, wie ihr Mann ein Mädchen am
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