Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima
mehrmals dümmer gestellt hatte, als er war, und sagte endlich mit einer Schärfe, die man ihrem Alter gar nicht zugetraut hätte: »Bedaure, aber dazu darf ich Ihnen nichts sagen. Alles, worum ich Sie gebeten habe«, fuhr sie fort, und er war beeindruckt von der Würde, mit der sie unausgesprochen auch hier die Ebenbürtigkeit einforderte, zu der sie in ihrem Gespräch über Geschichte und Literatur gefunden hatten, »ist, mir zu sagen, ob es eine Möglichkeit gibt, seinen Namen reinzuwaschen.« Bevor er etwas erwidern konnte, schnitt sie ihm das Wort ab und sagte: »Sonst nichts.«
»Ich verstehe«, sagte Brunetti und erhob sich. Er wußte nicht, ob er ihr würde helfen können, war aber doch so bezaubert von ihrer Jugend und Lauterkeit, daß er es immerhin versuchen wollte.
Claudia erhob sich ebenfalls. Er kam um den Schreibtisch herum auf sie zu, aber sie streckte ihm zuerst die Hand entgegen. Nach einem kurzen Händedruck wandte sie sich rasch zur Tür und verließ das Büro. Brunetti blieb mit dem dumpfen Gefühl zurück, er habe sich soeben reichlich blamiert; was ihn indes nur in dem Vorsatz bestärkte, der Erinnerung, die sich mit dem Namen Guzzardi verband, so rasch wie möglich nachzugehen.
6
A ls das Mädchen gegangen war, zog Brunetti den Stoß Akten, die noch auf seinem Schreibtisch lagen, zu sich heran, kritzelte seine Initialen auf jedes Deckblatt, ohne auch nur ein Wort gelesen zu haben, und schob die Papiere auf die linke Seite, von wo sie weiter durch die Büros der Questura mäandern würden. Er hatte keinerlei Skrupel bei diesem Täuschungsmanöver, ja hielt es sogar für eine kluge Taktik, die er vielleicht beibehalten sollte. Womöglich könnte er sich auch mit einem der anderen Kommissare darauf einigen, einander im wöchentlichen Aktenstudium abzuwechseln. Einen Moment lang erwog er, den gleichen Pakt mit allen vertrauenswürdigen Kollegen zu schließen, um diese törichte Zeitvergeudung einzudämmen, verwarf den Gedanken aber wieder, als er merkte, wie wenige Namen für ein solches Bündnis einfielen: Vianello, Signorina Elettra, Pucetti und eine der neuen Kommissarinnen, Sara Marino.
Der Umstand, daß die Marino Sizilianerin war, hatte Brunetti zunächst mißtrauisch gemacht, und als er erfuhr, daß ihr Vater, ein Richter, von der Mafia ermordet worden war, fürchtete er, sie könne sich als Fanatikerin entpuppen. Doch dann hatte er gesehen, mit welch aufrichtigem Engagement sie sich in die Arbeit stürzte; zudem waren Patta und Tenente Scarpa gegen sie, was sie in Brunettis Augen erst recht vertrauenswürdig machte. Außer diesen vieren - und Sara gehörte nur dazu, weil sein Bauchgefühl ihm sagte, daß sie ein anständiger Mensch sei - gab es niemanden in der Questura, dem er blind vertrauen konnte. Statt sein Wohl in die Hände von Kollegen zu geben, die darauf eingeschworen waren, das Gesetz zu hüten und hochzuhalten, würde er Leben, Karriere und Geschick weit eher jemandem wie Marco Erizzo anvertrauen, einem Mann, den er gerade zu einer kriminellen Handlung angestiftet hatte.
Brunetti beschloß, keine Zeit mehr mit törichten Gedankenspielen zu verschwenden, sondern sich lieber mit seinem Schwiegervater zu beraten; auch er ein Mann, dem er zu vertrauen gelernt hatte, wenngleich dieses Vertrauen immer mit einem gewissen Unbehagen gepaart war. Manchmal nannte er Grazio Palier bei sich das Orakel Orazio, denn er war sicher, daß die unzähligen Verbindungen, die der Conte ein Leben lang geknüpft hatte, ausreichten, um jede Frage zu beantworten, die Brunetti ihm über die Stadt oder ihre Bewohner stellen mochte. Der Conte hatte Brunetti bereits mehrfach dunkle Geheimnisse vorgeblich ehrbarer Bürger anvertraut, die einen trüben Schatten auf deren weiße Weste warfen. Das einzige, was er allerdings nie offengelegt hatte, waren seine Quellen; trotzdem glaubte Brunetti bedingungslos alles, was sein Schwiegervater ihm berichtete.
Er rief den Conte in seinem Büro an und bat um ein Gespräch unter vier Augen. Da Falier bereits zum Mittagessen verabredet war und anschließend verreisen mußte, schlug er vor, Brunetti solle gleich zu ihm an den Campo San Barnaba kommen, wo er ihm ungestört Rede und Antwort stehen könne. Als er aufgelegt hatte, spürte Brunetti, daß die Hellsicht des Conte ihn nervös machte. Falier war wie selbstverständlich davon ausgegangen, daß Brunetti ihn nur sprechen wolle, um ihm Informationen zu entlocken, hatte das freilich so nonchalant vermerkt, daß
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