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Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima

Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima

Titel: Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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Staatsmännern, die peinliche Dokumente einfach aus den Archiven verschwinden lassen. Mit Dante oder Manzoni kann man das nicht machen, oder?« ergänzte sie grüblerisch, eine Frage, die ernsthaft nach einer Antwort verlangte.
    »Nein«, stimmte Brunetti zu. »Aber ich fürchte, nur deshalb nicht, weil ein Dante oder Manzoni fester Bestandteil des literarischen Kanons ist. Andernfalls und wenn sie dächten, daß sie damit durchkommen könnten, würden sie's bestimmt versuchen.« Er sah, daß er ihr Interesse geweckt hatte, und fuhr fort: »Mir waren Leute immer unheimlich, die sich im Besitz der Wahrheit wähnen. So jemand würde alles tun, um die Fakten zu verändern und so hinzubiegen, daß sie mit seiner Wahrheit übereinstimmen.«
    »Haben Sie denn Geschichte studiert, Commissario?«
    Eine Frage, die Brunetti als Kompliment auffaßte. »Wenn ich's getan hätte, wäre ich wahrscheinlich genausowenig dabeigeblieben wie Sie.« Er hielt inne, und sie tauschten ein Lächeln, beide verblüfft, wie leicht und unmittelbar zwei Menschen übereinstimmten, die geistigen Trost in Büchern suchten und fanden. Ohne sich darum zu kümmern, ob er jemandem, der nicht zur Polizei gehörte, so etwas überhaupt anvertrauen durfte, fuhr Brunetti fort: »Die meiste Zeit verbringe ich immer noch damit, mir Lügen anzuhören, aber wenigstens kann ich die meisten von denen, die sie mir hier auftischen, anschließend vor den Haftrichter bringen. Und von einem Verbrecher belogen zu werden ist schließlich nicht dasselbe wie von jemandem, der an der Universität den Lehrstuhl für Geschichte innehat.« Fast hätte er hinzugefügt: »Oder vom Justizminister«, aber er hielt sich gerade noch zurück.
    »Das macht die Lügen, die sie verbreiten, um so gefährlicher, nicht?« hakte sie ein.
    »Absolut«, bestätigte er, erfreut über ihren Weitblick. Fast widerstrebend lenkte er das Gespräch wieder auf das Thema, um das es vor diesem Exkurs über historische Wahrheit gegangen war. »Aber was wollten Sie mich eigentlich fragen?« Und als sie nicht antwortete, fuhr er fort: »Ich glaube, meine Frau hat Ihnen schon gesagt, daß ich Ihnen, ohne die Einzelheiten zu kennen, keine Auskunft geben kann?«
    »Sie werden's niemandem weitersagen?« brach es aus ihr heraus. Der bebende Unterton in ihrer Stimme erinnerte Brunetti daran, daß das Mädchen nicht viel älter war als seine eigenen Kinder und daß man ihr bei aller intellektuellen Reife nicht zuviel zumuten durfte.
    »Nein, nicht solange keine Indizien für fortdauernde kriminelle Aktivitäten vorliegen. Und wenn der Fall, um den es geht, lange genug zurückliegt, dürfte er ohnehin verjährt oder inzwischen unter eine Generalamnestie gefallen sein.« Brunetti, der von Paola nur sehr dürftige Informationen bekommen hatte, wollte es dem Mädchen selbst überlassen, ihm mehr über den Fall zu erzählen.
    Es folgte eine lange Pause, und Brunetti, der die Gedanken des Mädchens nicht zu erraten vermochte, wandte sich schließlich von ihr ab, wobei sein Blick wie zufällig auf die aufgeschlagene Akte auf seinem Schreibtisch fiel und er in der Stille fast gegen seinen Willen zu lesen begann.
    Noch mehr Zeit verstrich. Endlich sagte sie: »Wie ich schon Ihrer Frau erklärte, geht es um eine alte Dame, die ich immer als meine dritte Großmutter angesehen habe. Für sie brauche ich die Information. Sie ist Österreicherin, aber sie hat während des Krieges mit meinem Großvater zusammengelebt. Also mit dem Vater meines Vaters.« Sie schaute Brunetti prüfend an, um zu sehen, ob diese Erklärung ausreichen würde; er begegnete ihrem Blick interessiert, aber durchaus nicht sensationslüstern.
    »Nach dem Krieg wurde mein Großvater verhaftet. Es kam zum Prozeß, und in der Verhandlung legte die Staatsanwaltschaft Kopien von Artikeln vor, die er für Zeitungen und Magazine verfaßt hatte und in denen ›artfremde Kunstformen und -praktiken‹ angeprangert wurden.« Brunetti erkannte in der Formulierung den faschistischen Code für jüdische Kunst oder die Werke jüdischer Künstler. »Trotz der Amnestie wurden diese Artikel immer noch als Beweismittel zugelassen.«
    Sie verstummte. Als klar war, daß sie nichts weiter sagen würde, ohne daß er nachhakte, fragte Brunetti: »Und wie ist der Prozeß ausgegangen?«
    »Da er aufgrund der Togliatti-Amnestie nicht wegen politischer Vergehen belangt werden konnte, lautete die Anklage auf Erpressung. Wegen anderer Vorkommnisse während des Krieges«, erklärte

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