Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima
Leben unserer großen Nation gebührend bebilderten. Außerdem war er Mitglied der Kommission, die darüber befand, welche angeblich dekadenten Kunstwerke unsere Galerien und Museen abstoßen sollten.«
»Abstoßen?« wiederholte Brunetti verständnislos.
»Das war eine der Seuchen, die wir aus dem Norden einschleppten«, sagte der Conte trocken und fuhr dann in seiner Erzählung fort.
»Es gab eine lange Liste sogenannter entarteter Künstler: Goya, Matisse, Chagall, dazu die ganze Gruppe der deutschen Expressionisten. Und viele andere mehr, bei denen es genügte, daß sie Juden waren. Oder keine gefälligen Themen malten oder nichts, was den Mythos der Partei unterstützte. Alles in dieser Richtung mußte von den Museumswänden entfernt werden, und viele Leute hängten solche Bilder vorsorglich auch in ihren Privathäusern ab.«
»Und wo kamen sie hin?« fragte Brunetti.
»Gute Frage«, versetzte der Conte. »Oft waren das die ersten Kunstwerke, die veräußert wurden, weil die Besitzer Geld zum Überleben brauchten oder das Land verlassen wollten - Leute, die, weil sie im Druck waren, nur sehr wenig für ihre Bilder bekamen.«
»Und die Museen?«
Der Conte lächelte, dieses ironische Lippenkräuseln, das seine Tochter von ihm geerbt hatte. »Guzzardi junior war derjenige, der darüber zu befinden hatte, welche Kunstwerke entfernt gehörten.«
»Und war er auch befugt«, fragte Brunetti, dem langsam dämmerte, worauf das hinauslief, »darüber zu entscheiden, wo die Bilder hinkamen, und ihren Verbleib zu archivieren?«
»Ich freue mich ja so, daß all die Jahre bei der Polizei deine grauen Zellen nicht angegriffen haben, Guido«, sagte der Conte mit fast zärtlicher Ironie.
Brunetti ging nicht darauf ein, und der Conte fuhr fort: »In dem Chaos damals sind viele wertvolle Stücke unbemerkt verschwunden und auf die Seite geschafft worden. Aber Guzzardi ist irgendwann wohl doch zu weit gegangen. Ich glaube, es war 1942: ein Skandal um eine Schweizer Familie, die in einem alten Palazzo wohnte, der seit Generationen im Familienbesitz war. Der Vater, der irgendeinen Titel hatte« -, der Conte sagte es mit der ihm eigenen Geringschätzung für Adelsprädikate, die nicht weiter als tausend Jahre zurückreichten - »war Schweizer Honorarkonsul. Der Sohn geriet dauernd in Schwierigkeiten, weil er offen gegen die damalige italienische Regierung polemisierte, aber dank der guten Beziehungen seines Vaters wurde er nie verhaftet. Bis man ihn eines Tages, ich weiß nicht mehr genau, wann das war, auf dem Dachboden erwischte, zusammen mit zwei Offizieren der britischen Luftwaffe, die er dort versteckt hielt. Eine sehr nebulose Geschichte, aber die Guzzardis hatten jedenfalls Wind davon bekommen, und einer von ihnen schickte dem jungen Schweizer die Polizei auf den Hals.« Hier stockte der Conte, und Brunetti sah, wie er versuchte, Erinnerungen wachzurufen, die mehr als fünfzig Jahre zurücklagen.
»Sie wurden alle drei verhaftet, der Sohn des Konsuls und seine beiden Schützlinge«, fuhr der Conte fort. »Noch am selben Abend wurden die Guzzardis bei dem Vater vorstellig, und es fand eine, nun, nennen wir es ›Unterredung‹ statt. Am Ende einigte man sich darauf, daß der Junge heimgeschickt und die Klage gegen ihn fallengelassen würde.«
»Und was wurde aus den Fliegern?«
»Ich habe keine Ahnung.«
»Und die Guzzardis?« fragte Brunetti.
»Die sollen in jener Nacht den Palazzo des Konsuls mit einem großen Paket verlassen haben.«
»Entartete Kunst?«
»Das weiß keiner. Der Konsul besaß eine stattliche Sammlung früher Meisterzeichnungen: Tizian, Tintoretto, Carpaccio. Er war außerdem ein Freund und Gönner der Stadt und bedachte die venezianischen Museen mit zahlreichen Schenkungen.«
»Aber besagte Zeichnungen waren nicht darunter?«
»Die waren bei Kriegsende nicht mehr im Palazzo«, sagte der Conte.
»Und die Guzzardis?« fragte Brunetti wieder.
»Der Konsul war offenbar ein Schulkamerad des Mannes, der gleich nach dem Krieg als britischer Botschafter zu uns entsandt wurde, und der bestand darauf, die Guzzardis zur Rechenschaft zu ziehen.«
»Und?«
»Guzzardi junior kam vor Gericht. Ich weiß nicht mehr genau, wie die Anklage lautete, aber der Ausgang stand nie in Zweifel. Der Botschafter war nämlich sowohl sehr reich als auch sehr spendabel, und das wiederum machte ihn sehr mächtig.« Der Conte blickte auf die drei Tizian-Zeichnungen, die hinter Brunetti an der Wand hingen, als erwarte er
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