Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima
hatte nur geantwortet, das müsse er durch einen Blick in den Paß des Conte herausfinden, und schadenfroh hinzugefügt, er habe vier davon aus vier verschiedenen Ländern, alle mit unterschiedlichen Geburtsdaten und -orten.
Brunetti war sicher, daß die durchdringenden blauen Augen und die vorspringende Nase auf allen vier Paßbildern zu sehen waren; ob auch die Namen alle gleich lauteten, hatte Paola nicht gesagt, und ihm fehlte der Mut, danach zu fragen.
Der Conte kam seinem Schwiegersohn entgegen und begrüßte ihn mit einem festen Händedruck. »Wie nett, daß du vorbeikommst. Setz dich und trink etwas. Kaffee? Un' ombra?«
»Nein, danke«, sagte Brunetti und nahm Platz. »Ich weiß, du bist verabredet, also werde ich versuchen, mich kurz zu fassen.«
Ohne seine Uhr zu konsultieren, sagte der Conte: »Mir bleibt noch eine halbe Stunde, wir haben also reichlich Zeit für einen Drink.«
»Nein, wirklich nicht«, beharrte Brunetti. »Vielleicht hinterher, wenn dann noch Zeit ist.«
Der Conte setzte sich wieder hinter seinen Schreibtisch. »Um wen geht es?« Die gezielte Frage bewies, wie gut er Brunetti kannte.
»Um einen Italiener namens Luca Guzzardi, der nach dem Krieg verurteilt wurde. Ich weiß allerdings nicht, für welches Vergehen. Statt ins Gefängnis schickte man ihn nach San Servolo, wo er verstarb.« Brunetti hielt es für besser, Claudia Leonardo nicht zu erwähnen und auch nicht den Grund für seine Nachforschungen. Normalerweise kümmerte den Conte das Warum ohnehin nicht; die Tatsache, daß Brunetti mit seiner Tochter verheiratet war, genügte, um ihm jede erdenkliche Hilfe zu gewähren.
Der Conte hatte Brunetti mit unbewegter Miene ausreden lassen. Dann spitzte er die Lippen und neigte den Kopf zur Seite, als horche er auf die Geräusche aus einem der Palazzi am anderen Ufer des Canal Grande. Mit einem neuerlichen Blick auf Brunetti sagte er: »Ach, das Leben ist doch wirklich lang.«
Brunetti wußte, daß der Conte der Versuchung, eine solch kryptische Bemerkung zu erläutern, genausowenig widerstehen konnte wie seine Tochter. Und tatsächlich brauchte er nur einen Moment zu warten.
»Luca Guzzardi war der Sohn von einem Geschäftspartner meines Vaters. Er selber bezeichnete sich als Künstler.« Und als er Brunettis Verwirrung bemerkte, fügte er hinzu: »Der Sohn, nicht der Vater.« Offenbar war der Conte bemüht, die Fakten zu sortieren, um seine Geschichte verständlich zu erzählen. Er fuhr fort: »Er war kein Künstler, auch wenn er ein gewisses Talent zum Illustrator hatte. Das kam ihm sehr zustatten, denn er wurde Wandmaler und Plakatzeichner für die Partei, die vor und während des Krieges an der Macht war.« Es gab Zeiten, da hatte Brunetti keine andere Wahl, als die Arroganz des Conte zu bewundern: So wie ein Mann in seiner Position seine Dienstboten nicht beim Vornamen nannte, weigerte er sich auch, den Namen der Partei auszusprechen, die sein Vaterland in Trümmer gelegt hatte.
Jetzt erinnerte sich Brunetti, der mit i fascisti vertraut war, wo er den Namen Guzzardi gehört oder zumindest gelesen hatte: in einem Bildband über faschistische Kunst, Seite für Seite eine betäubende Ansammlung von wohlgenährten Fabrikarbeitern und Maiden mit strahlenden Augen und langen Zöpfen, die sich in den grellsten Farben für den Sieg ihrer Partei engagierten.
»Er war während des Krieges ziemlich rührig, dieser Luca Guzzardi«, fuhr der Conte fort. »Sowohl in Ferrara, wo seine Familie herstammte - ich glaube, sie machten in Textilien -, als auch hier, wo er und sein Vater recht bedeutende Positionen innehatten.«
Brunetti hatte es längst aufgegeben, seinen Schwiegervater zu fragen, wie er an die Informationen kam, die er an ihn weiterreichte, aber diesmal gab der Conte seine Quelle preis. »Wie Paola dir vielleicht erzählt hat, mußten wir 1939 außer Landes gehen, so daß keiner von uns in den ersten Kriegsjahren in Italien war. Ich war noch ein halbes Kind damals, aber mein Vater hatte viele Freunde, die hierblieben, und als die Familie nach dem Krieg zurückkehrte, erfuhr er (und auch ich), was sich in unserer Abwesenheit zugetragen hatte. Es war wenig Angenehmes darunter.«
Nach dieser kurzen Einleitung fuhr er fort: »Guzzardi senior belieferte die Armee mit Tuch für Uniformen und wohl auch Zelte. Damit machte er ein Vermögen. Der Sohn bekam dank seiner künstlerischen Talente irgendeinen Posten im Propagandaministerium und entwarf Plakate und Reklametafeln, die das
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