Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima
sich von ihnen eine Auffrischung seines Gedächtnisses.
»Ich wüßte nicht, daß die Zeichnungen je wieder aufgetaucht sind. Damals munkelte man, Guzzardis Anwalt hätte mit dem Gericht einen Handel geschlossen: Gegen Rückgabe der Zeichnungen sollte sein Mandant freigesprochen werden. Aber dann erlitt Guzzardi während des Prozesses einen Kollaps oder einen Anfall - ob echt oder vorgetäuscht, weiß ich nicht - und die Richter verurteilten ihn am Ende doch - wenn ich mich recht entsinne, wohl wegen räuberischer Erpressung - und schickten ihn nach San Servolo. Die Leute sagten, Guzzardis Zusammenbruch sei nur Theater gewesen, inszeniert, damit die Richter ihn in die Anstalt schicken konnten. Man würde ihn ein paar Monate dort behalten und dann, wundersam geheilt, wieder entlassen. Auf die Weise wäre der Botschafter zufriedengestellt, ohne daß man Guzzardi wirklich zu bestrafen brauchte.«
»Aber er starb in der Anstalt?«
»Ja.«
»Erschien sein Tod irgendwie verdächtig?«
»Nein, nicht daß ich wüßte. Aber San Servolo war die Hölle.« Und nach einigem Nachdenken setzte der Conte hinzu: »Nicht, daß die heutigen Zustände sehr viel besser wären.«
Das Fenster in Brunettis Büro ging auf das Männeraltenheim von San Lorenzo hinaus, und was er dort zu sehen bekam, bestätigte all seine Vorurteile über das Schicksal der Alten, geistig Verwirrten oder Verlassenen, die sich in die Obhut staatlicher Einrichtungen begaben. Brunetti schüttelte die düsteren Gedanken ab und sah auf die Uhr; es war höchste Zeit für den Conte, wenn er pünktlich zu seiner Verabredung kommen wollte. Er stand auf. »Ich bedanke mich. Und falls dir noch etwas einfällt...«
»Lasse ich es dich wissen«, beendete der Conte Brunettis Satz. Und mit einem eher freudlosen Lächeln setzte er hinzu: »Es ist schon ein eigenartiges Gefühl, sich diese Zeiten wieder in Erinnerung zu rufen.«
»Inwiefern?«
»Nun, wie die Franzosen konnten auch wir das, was während des Krieges geschah, hinterher nicht schnell genug vergessen. Du weißt, wie ich zu den Deutschen stehe...« Und Brunetti nickte zum Zeichen, daß ihm die unerschütterliche Aversion, mit der sein Schwiegervater dieser Nation begegnete, wohl bekannt sei. »... aber die haben nicht die Augen vor ihrer braunen Vergangenheit verschlossen, das muß man ihnen lassen.«
»Hatten sie denn eine Wahl?« fragte Brunetti.
»Aber natürlich hatten sie die, wo das halbe Land unter kommunistischer Herrschaft stand und die Amerikaner, als der Kalte Krieg ausbrach, zitterten, auf welche Seite sich die Westdeutschen schlagen würden. Spätestens nach dem Ende der Nürnberger Prozesse hätten die Alliierten ihnen ihre Vergangenheit bestimmt nicht mehr unter die Nase gerieben. Aber die Deutschen beschlossen von sich aus, Vergangenheitsbewältigung zu betreiben, wenigstens bis zu einem gewissen Grad. Wir haben das nie getan, und folglich gibt es bei uns keine Geschichtsschreibung zu den Kriegsjahren, zumindest keine, die verläßlich wäre.«
Hier argumentierte der Conte ganz ähnlich wie Claudia Leonardo, obwohl zwischen den beiden mehr als zwei Generationen lagen.
An der Tür des Arbeitszimmers drehte Brunetti sich noch einmal um und fragte: »Und die Zeichnungen?«
»Was soll damit sein?«
»Wieviel wären die heute wert?«
»Das läßt sich so nicht beantworten. Niemand weiß genau, um welche Werke es sich handelte oder wie viele es waren, und außerdem gibt es ja auch keinen Beweis.«
»Dafür, daß die Guzzardis sie genommen haben?«
»Ja.«
»Was glaubst du denn?«
»Natürlich haben sie sie genommen!« versetzte der Conte. »Das paßt genau zu dem Abschaum, der sie waren. Großkotzige Emporkömmlinge, genau die Sorte, die sich von solchen politischen Ideen angezogen fühlt. Für sie ist das die einzige Chance im Leben, je zu Macht oder Reichtum zu kommen, also rotten sie sich zusammen wie die Ratten und nehmen, was sie kriegen können. Und hinterher, wenn das Spiel aus ist, sind sie die ersten, die behaupten, moralisch seien sie die ganze Zeit dagegen gewesen und hätten nur mitgemacht, weil sie um die Sicherheit ihrer Familien fürchteten. Es ist erstaunlich, wie solche Leute immer wieder irgendeine wohltönende Entschuldigung finden für das, was sie getan haben. Tja, und bei der ersten Gelegenheit schlagen sie sich dann erneut auf die Siegerseite.« Der Conte hob die Hand in einer Geste zorniger Verachtung.
Brunetti, der sich nicht erinnern konnte, daß sein kühl
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