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Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima

Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima

Titel: Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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Conte, aber sein Schwiegervater war ja während des Krieges auch nicht in Venedig gewesen. Lele dagegen sehr wohl, und zwar von Anfang bis Ende. Und zwei seiner Onkel, von denen einer mit den Deutschen und der andere gegen sie gekämpft hatte, waren im Krieg gefallen. Brunetti unterbrach den Schwall von Verwünschungen, die weiter an sein Ohr drangen, und sagte: »Gut, gut, ich verstehe, wie du empfindest. Aber nun sag mir, warum.«
    Lele lachte gequält. »Muß dir ja komisch vorkommen, diese Wut nach so langer Zeit. Ich habe seinen Namen seit, oh, ich weiß nicht, seit zwanzig Jahren nicht mehr gehört, aber kaum, daß du ihn erwähnst, steht alles, was ich über ihn weiß, wieder lebendig vor mir.« Er hielt einen Moment inne und fuhr dann fort: »Ist es nicht merkwürdig, wie manche Dinge einfach nicht in Vergessenheit geraten? Man sollte meinen, die Zeit hätte einiges gemildert. Aber nicht, wenn's um Guzzardi geht.«
    »Was hat sich nicht gemildert?« fragte Brunetti.
    »Na, wie sehr wir alle ihn gehaßt haben.«
    »Alle?«
    »Mein Vater, meine Onkel, sogar meine Mutter.«
    »Und warum?«
    »Glaubst du, du hast genug Zeit, dir das anzuhören?« fragte Lele.
    »Warum hätte ich dich sonst angerufen?« fragte Brunetti zurück, froh, daß Lele nicht wissen wollte, warum er sich nach Guzzardi erkundigte.
    Statt zu antworten, fragte Lele erst einmal: »Du weißt, daß mein Vater Antiquitätenhändler war?«
    »Ja.« Brunetti erinnerte sich dunkel an Leles Vater, einen Hünen mit weißem Schnauzer und Kinnbart, der starb, als Brunetti noch ein kleiner Junge war.
    »Damals wollten eine Menge Leute das Land verlassen. Nicht, daß es viele Orte gegeben hätte, an denen sie sich in Sicherheit bringen konnten. Aber nach Ausbruch des Krieges wandten sich jedenfalls einige von ihnen an meinen Vater mit der Bitte, ob er irgendwelche Sachen für sie verkaufen könne.«
    »Antiquitäten?«
    »Und Gemälde und Plastiken und seltene Bücher, so gut wie alles, was schön und wertvoll war.«
    »Und dein Vater?«
    »Er vermittelte als Agent«, sagte Lele, als ob damit alles erklärt sei.
    »Was heißt das?«
    »Was ich gesagt habe. Er erklärte sich bereit, Käufer zu finden. Er kannte den Markt, und er hatte eine große Kundenkartei. Als Gegenleistung erhielt er bei Vertragsabschluß jeweils zehn Prozent vom Kaufpreis.«
    »Ist das nicht ganz normal?« fragte Brunetti. Was immer Lele ihm mitzuteilen versuchte, er konnte ihm offenbar nicht ganz folgen.
    »Im Krieg war überhaupt nichts normal«. Lele sagte es, als ob damit alles erklärt sei.
    »Lele, da ist zuviel im Spiel, was ich nicht verstehe. Bitte klär mich auf.«
    »Schon gut. Ich vergesse immer, wie wenig die Leute über das, was damals passiert ist, wissen oder wissen wollen. Also du mußt dir das so vorstellen: Wenn jemand gezwungen war, Wertsachen zu veräußern, oder so unter Druck geriet, daß ihm keine andere Wahl blieb, als zu verkaufen, dann konnte er das entweder auf eigene Faust versuchen, was immer ein Fehler ist, oder er wandte sich an einen Agenten. Obwohl das oft genauso ein Fehler war.«
    »Wieso?«
    »Weil einige der Händler Geld rochen, große Summen, und als sie merkten, wie sehr die Anbieter in Panik waren, haben viele durchgedreht.«
    »Inwiefern durchgedreht?«
    »Indem sie ihre Prozente unverschämt hochschraubten. Die Leute wollten um jeden Preis verkaufen und wenn irgend möglich außer Landes gehen. Zumindest gegen Ende begriffen die meisten, daß hier zu bleiben gleichbedeutend mit sterben war. - Nein«, korrigierte er sich: »Nicht sterben: umgebracht, in den Tod geschickt zu werden. Trotzdem fehlte einigen immer noch der Mut, einfach abzuhauen und alles im Stich zu lassen: Häuser, Bilder, Kleidung, Kunstwerke, Papiere, Familienbesitz. Das hätten sie tun sollen, einfach alles zurücklassen und versuchen, in die Schweiz zu entkommen oder nach Portugal oder sogar nach Nordafrika, aber viele von ihnen waren nicht bereit, auf alles zu verzichten. Bis sie letztlich keine andere Wahl mehr hatten.«
    »Und dann?« fragte Brunetti.
    »Am Ende waren sie gezwungen, all ihren Besitz zu verkaufen, einzutauschen in Gold oder Edelsteine oder ausländische Währung, was immer sie glaubten, über die Grenze und außer Landes schaffen zu können.«
    »Und wieso gelang ihnen das nicht?«
    »Das zu erklären, wird sehr lange dauern, Guido«, sagte Lele fast entschuldigend.
    »In Ordnung.«
    »Nun gut. In den meisten Fällen lief es folgendermaßen: Die Leute

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