Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima

Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima

Titel: Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
Vom Netzwerk:
Rizzardis Bemerkung als Kompliment an das weibliche Geschlecht zu verstehen sei. Und wenn ja: Was sagte das dann über die menschliche Natur aus? Der nächste Satz des Doktors holte ihn aus seinen philosophischen Reflexionen zurück. »Ich denke, sie war noch Jungfrau.«
    »Was?«
    »Du hast richtig gehört, Guido. Ich sagte Jungfrau.«
    Eine Weile schwiegen beide, dann fragte Brunetti: »Sonst noch was?«
    »Sie war Nichtraucherin und anscheinend kerngesund.«
    Hier stockte der Arzt und ließ Brunetti für einen Augenblick die traurige Hoffnung, daß er es nicht aussprechen würde. Aber dann sagte Rizzardi es doch: »Sie hätte noch gute sechzig Jahre vor sich gehabt.«
    »Danke, Ettore«, sagte Brunetti und legte auf.
    Neuerlich gereizt nach dem, was er da eben erfahren hatte, hielt es der Commissario nicht länger am Schreibtisch aus; und so ging er hinunter ins Kriminallabor und ließ sich die Sachen zeigen, die die Spurensicherung aus Claudia Leonardos Wohnung mitgebracht hatte.
    »Ihr Adreßbuch hat Signorina Elettra«, sagte Bocchese, der Chef des kriminaltechnischen Dienstes, während er etliche Plastikbeutel auf seinen Schreibtisch legte. Als Brunetti sie vorsichtig an den äußersten Enden aufhob, sagte Bocchese abschätzig: »Sie können ruhig zufassen, ich habe den ganzen Kram längst auf Fingerspuren untersucht. Aber es waren überall nur zwei Paar Abdrücke drauf, ihre und die ihrer Mitbewohnerin.«
    Brunetti öffnete einen großen Umschlag, der eine Reihe von Schriftstücken und Kuverts enthielt. Es war das übliche Sammelsurium: Gas- und Stromrechnungen, eine Einladung zu einer Galerieeröffnung, Telefonrechnungen, Kreditkartenbelege. Weiter hinten in dem Päckchen stieß er auf einen Stapel Kontoauszüge und überflog die Spalte mit den Einzahlungen. Jeweils am Monatsersten waren zehn Millionen Lire auf Claudias Konto eingezahlt worden. Brunetti blätterte weiter und vergewisserte sich, daß seit Anfang des Jahres jeden Monat der gleiche Betrag eingegangen war. Es bedurfte keiner großen Rechenkünste, um die Jahressumme zu ermitteln, einen atemberaubenden Betrag für ein Studentenkonto. Allein, dort war das Geld nicht: Claudias Guthaben belief sich auf kaum mehr als drei Millionen Lire, was bedeutete, daß dieses junge Mädchen im Laufe der letzten zehn Monate fast hundert Millionen Lire ausgegeben hatte.
    Brunetti studierte die Auszüge genauer: Am dritten jeden Monats ging eine Überweisung von Claudias Konto auf das von Loredana Gallante, der Vermieterin. Strom- und Telefonrechnung wurden per Einzugsverfahren abgebucht. Und dann gab es jeden Monat, ohne erkennbares System der Daten und Beträge, namhafte Abbuchungen in unterschiedlicher Höhe, die allerdings nur als »Auslandsüberweisungen« gekennzeichnet waren.
    Die monatlichen Einzahlungen waren ebenfalls nur als »Überweisungen aus dem Ausland« deklariert. Brunetti löste die Kontoauszüge aus dem Papierstapel und fragte Bocchese: »Wenn ich die mitnehme, muß ich das quittieren?«
    »Ich denke schon, Commissario«, antwortete Bocchese und zog ein dickes Hauptbuch aus einer Schublade. Er schlug es auf, schrieb etwas hinein und drehte das Buch dann zu Brunetti hin. »Unterschreiben Sie hier, Commissario. Und bitte mit Datum.« Keiner von beiden erwähnte Boccheses ebenso beharrliche wie erfolglose Anträge auf Genehmigung eines Fotokopierers.
    Brunetti unterschrieb wie gewünscht, faltete die Kontoauszüge zusammen und schob sie in seine Jackentasche.
    Die Banken hatten schon geschlossen, und als er in Signorina Elettras Büro zurückkam, war sie bereits gegangen. Ihre Zeitschrift lag mit dem Titelblatt nach unten auf dem Schreibtisch. Brunetti war nicht so dreist, sie umzudrehen, aber er ging um den Schreibtisch herum, bückte sich und las den Titel auf dem Magazinrücken. Vogue. Er lächelte, froh über dieses kleine Indiz dafür, daß Signorina Elettra ViceQuestore Patta endlich wieder genau das Maß an Aufmerksamkeit widmete, das er ihrer Meinung nach verdiente.

13
    B runetti mußte bis zum nächsten Morgen warten, ehe er seine Neugier stillen und Claudia Leonardos abenteuerlichen Kontobewegungen nachspüren konnte. Dann aber ging es sehr rasch und bedurfte nur eines Anrufs bei der örtlichen Filiale der Banca di Perugia. Seit Jahren schon hatte Brunetti fasziniert beobachtet, daß von allen Berufsgruppen, die ein Anruf der Polizei nervös machte, die Banker am meisten zu leiden schienen. Das verleitete zu Spekulationen darüber, was

Weitere Kostenlose Bücher