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Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima

Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima

Titel: Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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Entwurf für eine Bewerbung. Aber ich habe keinen Adressaten... «
    »Ein Bewerbungsschreiben?« unterbrach Brunetti. »Sie bekam über hundert Millionen Lire im Jahr. Warum sollte sie auf Jobsuche gehen?«
    »Man arbeitet nicht immer nur des Geldes wegen, Signore«, gab Signorina Elettra unerwartet eindringlich zu bedenken.
    »Aber sie war Studentin«, beharrte Brunetti.
    »Ja, und?«
    »Sie hätte keine Zeit gehabt für einen Job, zumindest nicht während des Semesters.«
    »Mag sein«, versetzte Signorina Elettra mit einer Skepsis, die nahelegte, daß sie mit den akademischen Anforderungen der Universität einigermaßen vertraut war. »Auf jeden Fall gab es in ihren Finanzen in letzter Zeit keine Veränderung, die auf eine andere Einkommensquelle schließen läßt«, räumte sie ein und kramte unter den Papieren, bis sie Claudia Leonardos Kontoauszüge fand. »Hier, sie hat bis zu ihrem Tod jeden Monat den gleichen Betrag abgehoben. Also hatte sie wohl keine weiteren Einkünfte.«
    »Sie könnte natürlich auch unentgeltlich gearbeitet haben, ehrenamtlich oder als Volontärin«, sagte Brunetti. »Das wäre doch eine Möglichkeit, nicht?«
    »Grade sagten Sie, daß sie als Studentin keine Zeit gehabt hätte für einen Job.«
    »Vielleicht war's ja eine Teilzeitstelle«, beharrte Brunetti. »Erinnern Sie sich vielleicht an irgendeine Bemerkung in den Briefen, die darauf hindeuten könnte, daß sie nebenher gearbeitet hat?«
    Signorina Elettra überlegte eine Weile, dann sagte sie: »Nein, nicht daß ich wüßte, allerdings habe ich bisher auch nicht darauf geachtet.« Dann griff sie, ohne zu fragen, nach den Kopien von Claudia Leonardos Briefen, teilte den Stapel in zwei Hälften und reichte eine davon Brunetti.
    Er schob seinen Stuhl vom Schreibtisch zurück, streckte die Beine aus und begann zu lesen. Und während er sich in die schriftlichen Zeugnisse von Claudias so jäh verkürztem Leben vertiefte, fiel ihm ein Geschenk ein, das er vor vielen, vielen Jahren von einer Tante zu Weihnachten bekommen hatte. Wie enttäuscht war er gewesen, als er die kleine Schachtel öffnete und darin nichts weiter fand als ein bohnenförmiges Gebilde aus Packpapier. »Was soll denn das sein?« hatte er die Tante nicht eben freundlich gefragt. Worauf sie eine Schale mit Wasser füllte und ihn aufforderte, die Papierbohne hineinzulegen.
    Wunderbarerweise schwamm das hutzelige Ding, statt unterzugehen, munter an der Oberfläche, ja begann vor seinen staunenden Augen zu tanzen und zu kreisen, bis es sich ganz mit Wasser vollgesogen hatte und endlich berstend Hunderte, so schien es, winziger Blütenblätter entfaltete, deren jedem, kaum daß es geöffnet war, ein weiteres nachdrängte. Und als das wundersame Gebilde endlich zur Ruhe kam, erblickte er eine vollkommene weiße Nelke, so groß wie ein Apfel. Seine Tante fischte sie aus dem Wasser, ließ sie abtropfen und setzte sie auf die Fensterbank in die fahle Wintersonne, wo sie sich noch tagelang hielt und Brunetti, wann immer sein Blick darauf fiel, an den magischen Zauber erinnerte, der eine unscheinbare Papierbohne so wunderschön hatte erblühen lassen.
    Und als er jetzt Claudias Briefe las und dabei im Geiste ihre Stimme hörte, erging es ihm ganz ähnlich. »Diese bedauernswerten Albaner. Die Leute hassen sie, sobald sie erfahren, woher sie kommen, als ob ihre Pässe (falls die Ärmsten überhaupt welche haben) Teufelshörner wären.« - »Ich ertrage es nicht, meine Freunde dauernd jammern zu hören, wie schlecht es ihnen geht. Dabei leben wir doch allesamt besser als einst selbst die römischen Kaiser.« - »Ach, wie gern möchte ich ein Hündchen haben, aber wer könnte einem Hund zumuten, in dieser Stadt zu leben? Vielleicht sollte man sich in Venedig lieber einen Touristen als Schoßtier halten.« Nichts von dem, was sie schrieb, war besonders tiefschürfend oder glänzend formuliert, aber jenes zusammengeknüllte, farblose Papierklümpchen damals schien auch kaum eines zweiten Blickes wert - und war doch so herrlich erblüht.
    Nach etwa zehn Minuten machte er eine Pause und fragte: »Was gefunden?«
    Sie schüttelte nur den Kopf und las weiter.
    Wieder ein paar Minuten später bemerkte er: »Sie scheint sehr viel Zeit in der Bibliothek verbracht zu haben, nicht?«
    »Sie hat studiert«, sagte Signorina Elettra, von den Briefen in ihrem Schoß aufblickend. Aber dann setzte sie hinzu: »Doch, ja, das fällt schon auf, oder?«
    »Vor allem, weil es nie danach klingt, als ob

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