Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle
rühmten, die zu den besten in ganz Europa zählte. Wie der Moro-Report aufdeckte, waren in diese glänzende Statistik drei erst in der Planung begriffene Kliniken mit einbezogen worden, die medizinische Versorgung auf höchstem Niveau versprachen. Da die dafür benötigten Gelder nicht nur bewilligt, sondern auch bereits ausgegeben worden waren, fanden die geplanten Einrichtungen mit all ihren hochmodernen Dienstleistungen Eingang in jene Statistik, bei deren Bekanntgabe die Öffentlichkeit nicht mehr aus dem Staunen herauskam, attestierte sie doch dem Veneto das europaweit beste Gesundheitssystem.
Erst Fernando Moros Bericht enthüllte die peinliche Wahrheit, daß diese drei Vorzeigekliniken leider nur auf dem Papier existierten. Sobald man aber deren Dienstleistungspalette aus der Kalkulation herausnahm, sank das Niveau der Gesundheitsfürsorge im Veneto auf den Stand, der den Patienten vertraut war: etwas schlechter als in Kuba, aber deutlich besser als im Tschad.
Nach diesem Bericht war Moro von der Presse zum Helden erkoren und in der Öffentlichkeit als solcher gefeiert worden. Nur die Verwaltung des Krankenhauses, in dem er damals tätig war, glaubte auf einmal, seine mannigfachen Talente besser nutzen zu können, indem sie ihm die Leitung des angegliederten Altenheims übertrug. Seinen Einwand, daß er als Onkologe auch in die onkologische Abteilung gehöre, tat man als falsche Bescheidenheit ab und veranlaßte seine Versetzung bei gleichbleibenden Bezügen.
Daraufhin beschloß Moro, für ein politisches Amt zu kandidieren, bevor sein Name wieder aus dem öffentlichen Bewußtsein verschwand; vielleicht eine taktische, darum aber nicht weniger folgenreiche Entscheidung.
Moro hatte einmal den Satz geprägt: Seine lange Erfahrung mit unheilbar Kranken sei vielleicht die beste Vorbereitung auf eine Parlamentskarriere, die man sich wünschen könne. Ein Bonmot, das er, so wurde gemunkelt, zu vorgerückter Stunde und im kleinsten Kreis gern näher verdeutlichte. Natürlich kam das auch seinen Parlamentskollegen zu Ohren und mag sehr wohl Einfluß darauf gehabt haben, welchen Ausschüssen Moro künftig zugeteilt wurde.
Bei der Lektüre dieser Artikel, die allesamt vorgaben, objektiv und sachlich zu berichten, ohne daß es ihnen gelungen wäre, die politische Couleur ihres Blattes oder Redakteurs zu verleugnen, merkte Brunetti, wie voreingenommen er selber war. Er kannte Moro, zumindest vom Hörensagen, seit vielen Jahren und war, da er mit seiner politischen Linie sympathisierte, geneigt, seine Partei zu ergreifen und an seine Aufrichtigkeit zu glauben. Wie gefährlich so eine vorgefaßte Meinung war, besonders für einen Polizisten, wenn er ermittelte, war ihm durchaus bewußt. Doch Moro zählte wohl kaum zum Kreis der Verdächtigen: Sein namenloser Schmerz erhob ihn über jeden Verdacht, am Tode seines Sohnes beteiligt gewesen zu sein.
»So wahr ich einen Sohn, so wahr ich eine Seele habe.«
Brunetti blickte verlegen zur Tür, als er merkte, daß er laut vor sich hin gesprochen hatte, aber es war niemand da, der ihn hätte belauschen können. Er las weiter, doch die restlichen Artikel wiederholten nur die Informationen, die er bereits den ersten entnommen hatte. So anzüglich der Ton mancher Journalisten auch war, so raffiniert sie ihre fadenscheinigen Argumente ausschmückten - an der Integrität des Doktors konnte selbst der dümmste Leser nicht zweifeln.
Ungenierte Häme schimmerte erstmals in einigen der Artikel durch, die sich mit Moros überstürztem Rücktritt befaßten, während er in jedem Interview beteuerte, daß ausschließlich »persönliche Gründe« dafür verantwortlich seien. Ein Kommentar aus der Feder des bekanntesten Apologeten der Rechten warf die rhetorische Frage auf, was für ein Zusammenhang zwischen Moros Rücktritt und der vierzehn Tage zuvor erfolgten Verhaftung eines der letzten Mitglieder der Baader-Meinhof-Bande denkbar sei. »Vermutlich gar keiner«, murmelte Brunetti wieder halblaut vor sich hin, eine Marotte, die er sich bei der Lektüre dieser besonderen Zierde der freien Presse angewöhnt hatte.
Signora Moros Jagdunfall wurde in zwei kurzen Artikeln erwähnt, die jedoch nur die dürren Fakten wiedergaben. Dafür stand im zweiten der Name der Familie, bei der Federica Moro damals zu Gast gewesen war.
Brunetti griff zum Telefon, wählte die Auskunft und verlangte die Nummer von Giovanni Ferro in Stadt oder Provinz Siena. Es waren zwei Anschlüsse gemeldet, und Brunetti
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